Ende August 1939 wurde eines der unwahrscheinlichsten Abkommen des 20. Jahrhunderts geschlossen: der Deutsch-Sowjetische Nichtangriffspakt – später auch Hitler-Stalin-Pakt genannt. Er ebnete den Weg zum deutschen Überfall auf Polen...
Es ist schon weit nach Mitternacht, als die beiden Außenminister nacheinander zum Füllfederhalter greifen und ihre Unterschriften unter den Nichtangriffsvertrag setzen. Die letzten Verhandlungen sind ein hartes Stück Arbeit gewesen − vor allem die Verhandlungen über jene Punkte, die im eigentlichen Abkommen gar nicht aufgeführt sind. Über sie ist strengste Geheimhaltung zu wahren! Nur die Handvoll Männer hier im Arbeitszimmer des Kremlchefs Josef Stalin weiß Bescheid über das sogenannte Zusatzprotokoll, und natürlich der deutsche Führer Adolf Hitler in Berlin. Das muss auch so bleiben, denn der Inhalt dieser Ergänzung würde bei den Engländern und Franzosen – gelinde ausgedrückt – gewisse Fragen aufwerfen. Und erst recht bei den Polen...
Bei diesem Gedanken zuckt ein boshaftes Lächeln im Gesicht des Reichsaußenministers. Dann aber wendet er sich wieder ganz geschäftsmäßig dem Partei- und Staatschef der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken (UdSSR) zu, der gerade auf den Deutschen zutritt. Ein bereitstehender Fotograf hält den Handschlag der beiden Männer für die Weltpresse fest.
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Jetzt runterladen!Der Deutsch-Sowjetische Nichtangriffspakt wurde in der Nacht auf den 24. August 1939 von Hitlers Außenminister Joachim von Ribbentrop und seinem sowjetischen Amtskollegen Wjatscheslaw Molotow unterzeichnet. Darin verpflichteten sich die UdSSR und Nazideutschland, keine militärische Gewalt gegeneinander auszuüben und nicht einzugreifen, wenn einer der beiden Partner mit einem dritten Staat in einen Krieg verwickelt werden sollte. Außerdem sollte keiner der beiden einem Bündnis beitreten, das sich gegen den anderen Vertragspartner richtete.
Bis hierhin hörte sich das alles ja eigentlich vorbildlich und zukunftsweisend an: Zwei Erzfeinde lassen alle politischen und weltanschaulichen Gegensätze beiseite, um gemeinsam den Frieden zu sichern. So ähnlich verbreitete es auch die Propagandamaschinerie, die noch in derselben Nacht in beiden Staaten ansprang. Aber: Das Ganze hatte einen gewaltigen Haken.
Dem Deutsch-Sowjetischen Nichtangriffspakt fehlte nämlich ein wesentlicher Punkt. Normalerweise war es Teil solcher Vereinbarungen, dass das Abkommen sofort außer Kraft trat, wenn einer der beiden Partner ein Drittland aktiv angriff. Das „Dritte Reich” und die Sowjetunion aber verzichteten auf diese Klausel! Im Grunde hatten die beiden Diktatoren also nur vereinbart, dass sie einander bei ihren Großmacht-Aktivitäten nicht in die Quere kommen würden. Nun könnte sich Hitler also darauf verlassen, dass die Sowjets nicht eingreifen würden, wenn er Polen überfiel!
Und das geheime Zusatzprotokoll? Diese Ergänzung zum Nichtangriffspakt zeigte die wahren Absichten der beiden Diktatoren. Es legte nämlich die Teilung Osteuropas in sogenannte „Interessensphären“ fest. Dabei sollte das „Dritte Reich” insbesondere über den westlichen Teil Polens nach Belieben verfügen dürfen, Sowjetrussland über Ostpolen und Finnland, die baltischen Staaten Lettland und Estland sowie Bessarabien, das heute teils zu Moldau und der Ukraine gehört, damals eine Provinz Rumäniens war. Einige Wochen später sicherte sich Stalin auch noch den Zugriff auf Litauen. Mit anderen Worten: Adolf Hitler und Josef Stalin planten nicht Geringeres als die Zerschlagung Polens und des Baltikums!
Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen?
Seit Jahren schon betrieb der deutsche Diktator eine aggressive Eroberungspolitik. Er hatte Österreich und das tschechische Sudetenland seinem sogenannten Großdeutschland einverleibt und im März 1939 auch noch die sogenannte „Rest-Tschechei“ besetzt. Nun begannen in Frankreich und Großbritannien offenbar endlich die Alarmglocken zu läuten. Hitler hatte die Maske fallen gelassen und blickte nun unverkennbar Richtung Osten.
Das wiederum brachte die Briten und Franzosen zu der Einsicht, dass sie sich jetzt doch dringend mit den Sowjets an den Verhandlungstisch setzen sollten. Genau davor waren sie die ganze Zeit zurückgeschreckt! Denn mit einer kommunistischen Diktatur wollte eigentlich kein westliches Land etwas zu tun haben. Im April 1939 änderte sich das, und es begannen Verhandlungen zwischen Paris, London und Moskau über ein Anti-Hitler-Bündnis zum Schutze Polens.
Dass dieses Land Hitlers nächstes Ziel war, zeichnete sich immer deutlicher ab. Wieder einmal argumentierte der Diktator damit, deutsche Einwohner vor angeblichen Übergriffen schützen zu müssen. Tatsächlich wollte er die ehemalige westpreußische Provinzhauptstadt Danzig „heim ins Reich holen“, wie er es nannte. Danzig war zusammen mit einigen umliegenden Gebieten nach dem Ersten Weltkrieg vom Deutschen Reich abgetrennt und zu einem Freistaat erklärt worden. Die dortige Bevölkerung war mehrheitlich deutsch, und auch bei ihr fielen das Gedankengut des Nationalsozialismus und die anti-polnische Propaganda auf fruchtbaren Boden. Die polnische Regierung war alarmiert, hoffte aber, dass Frankreich und Großbritannien einen deutschen Zugriff auf den Freistaat Danzig verhindern würden. Es sollte jedoch anders kommen...
Die Westmächte in Europa begannen tatsächlich, mit Stalin über ein Anti-Hitler-Bündnis zu verhandeln. Aber der sowjetische Diktator stellte eine Bedingung: Wenn er sich an einem Bündnis gegen Hitler beteiligen solle, dann müsse Polen der sowjetischen Armee freien Durchmarsch gewähren. Polen hingegen fürchtete eine Besetzung durch die Sowjets und verweigerte seine Zustimmung. Die Verhandlungen gerieten ins Stocken. Und der sprichwörtliche „lachende Dritte” würde ausgerechnet Hitler sein.
Denn die jahrelange Beschwichtigungspolitik der europäischen Westmächte gegenüber Hitler war auch dem sowjetischen Diktator nicht entgangen. Er sah darin pure Schwäche. Außerdem war er darüber erbost, dass die Briten und Franzosen ihn bisher wie einen dummen Jungen aus sämtlichen Friedensverhandlungen herausgehalten hatten. Nun wollten sie plötzlich doch mit ihm zusammenarbeiten. Aber warum, so überlegte Stalin, sollte er nicht stattdessen mit Hitler ein Abkommen schließen? Es käme auf die Bedingungen an! Denn auch Stalin hatte im Grunde nichts anderes im Sinn, als seinen Herrschaftsbereich zu vergrößern – zum Beispiel um den Ostteil Polens und die nördlichen Ostseeländer – und die Kontrolle in Osteuropa.
Einige Historiker vermuten sogar, der sowjetische Diktator habe die Verhandlungen mit den Westmächten absichtlich in die Sackgasse laufen lassen, indem er eine Bedingung stellte, die Polen mit Sicherheit ablehnen würde! Die Einigung mit Hitlerdeutschland war jedenfalls rasch herbeigeführt. Der beiderseitige Nichtangriffspakt wurde um das entscheidende geheime Zusatzprotokoll ergänzt und unterzeichnet.
Und die Westmächte? Die waren entsetzt. Dass der Kommunist Stalin und der Kommunistenhasser Hitler jemals gemeinsame Sache machen könnten, damit hatte niemand gerechnet! Sie konnten ja nicht wissen, dass Hitler längst auch den Vernichtungskrieg gegen die Sowjets im Blick hatte und dass deutsche Truppen knapp zwei Jahre später über die sowjetische Grenze marschieren würden. Doch Hitlers „Unternehmen Barbarossa” musste noch warten. Jetzt hatte er erst einmal die Gefahr eines Zweifrontenkrieges gebannt und freie Bahn, um sich in Polen zu nehmen, was er wollte. Und wieder verlor Hitler keine Zeit. Am 1. September 1939 ließ er die deutsche Wehrmacht ohne Kriegserklärung in Polen einmarschieren. Damit begann die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts: der Zweite Weltkrieg.
Zusammenfassung
Nachdem Hitler das Rheinland, Österreich und die Tschechoslowakei besetzt hatte, plante er den Angriff auf Polen. Die Westmächte begannen daraufhin, mit dem sowjetischen Diktator Stalin über ein Anti-Hitler-Bündnis zum Schutze Polens zu verhandeln.
Stalin wollte sich daran nur beteiligen, wenn Polen seiner Roten Armee freien Durchmarsch gewähre. Polen fürchtete jedoch eine Besetzung durch die Sowjets und lehnte ab. Die Verhandlungen gerieten ins Stocken. Währenddessen kamen sich die Sowjetunion und Nazideutschland näher.
Beide vereinbarten im sogenannten Hitler-Stalin-Pakt, einander nicht militärisch anzugreifen. In einem geheimen Zusatzprotokoll legten sie außerdem sogenannte „Interessensphären“ fest. Dies bedeutete nichts anderes als die geplante Aufteilung Polens und des Baltikums zwischen Deutschland und der Sowjetunion.
Der Hitler-Stalin-Pakt bereitete den Boden für den deutschen Angriff auf Polen. Denn Hitler konnte nun sichergehen, dass die Sowjetunion nicht eingreifen würde.
Am 1. September 1939 sollte Adolf Hitler seine Pläne in die Tat umsetzen. Er ließ seine Soldaten ohne Kriegserklärung in Polen einmarschieren. Der Überfall auf Polen wird als der Beginn des Zweiten Weltkriegs angesehen.
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Richtige Antworten:
1. C) Hitler-Stalin-Pakt
2. B) Moskauer Kreml
3. A) Polen
4. B) 1. September 1939