Im Herbst 1989 war die DDR am Ende. Tausende Ostdeutsche drängten in westdeutsche Botschaften, Zehntausende demonstrierten auf den Straßen für Reisefreiheit und Demokratie.
Und dann brachte ein Missverständnis die Mauer zu Fall …
Es ist eine Mischung aus Zorn, Verzweiflung und Hoffnung. Rund 4000 DDR-Flüchtlinge harren in und vor der westdeutschen Botschaft in Prag aus. Viele sind schon seit Wochen hier. Es mangelt an Toiletten und Waschgelegenheiten, viele der hier Zusammengepferchten haben nicht mal ein Feldbett zum Schlafen.
Und doch weicht niemand vom Fleck. Sie können nicht mehr zurück. Sie haben alle Brücken hinter sich abgebrochen. Ihnen bleibt nur diese eine Zuflucht – und die Hoffnung auf die ersehnte Ausreise in den Westen...
Und dann passiert es: An jenem Abend des 30. Septembers 1989 tritt eine Gruppe Männer auf den Balkon der Botschaft.
Schlagartig wird es still. Und in diese Stille hinein spricht einer der Männer den wohl berühmtesten unvollendeten Satz der deutschen Geschichte. Er sagt: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise …“
Der Mann auf dem Balkon ist Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher. Seine Worte gehen im frenetischen Jubel der Menge unter. Denn den DDR-Flüchtlingen wird sofort klar: Sie können endlich in den Westen! Sie sind frei!
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Jetzt runterladen!Am Abend des 30. Septembers 1989 lagen sich rund 4000 DDR-Bürgerinnen und -Bürger jubelnd in den Armen. Was Bundesaußenminister Genscher auf dem Balkon der Prager Botschaft in wenigen Worten mitteilte, war das Ergebnis eines internationalen Verhandlungsmarathons. Genscher hatte auf eine schnelle Lösung eines Flüchtlingsproblems gedrängt, das nicht nur in Prag, sondern auch in Warschau und Budapest gewaltige Ausmaße angenommen hatte. Seit dem Sommer 1989 drängten sich tausende DDR-Bürger auf den Grundstücken der bundesdeutschen Botschaften in Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei. Diese Menschen hatten nur noch ein Ziel: Raus aus dem sozialistischen System, das seine Bürger belog und einsperrte – und dabei immer mehr Auflösungserscheinungen zeigte. Die Deutsche Demokratische Republik war wirtschaftlich bankrott, politisch aber tat die DDR-Regierung um Erich Honecker noch immer so, als wäre alles in bester sozialistischer Ordnung. Die Menschen sahen das anders. Sie trafen sich in den Kirchen, um Pläne für eine friedliche Umgestaltung ihres Landes zu schmieden. Mit Kerzen in den Händen demonstrierten sie nach Gottesdiensten und Friedensgebeten für Reisefreiheit und Demokratie, trotz Stasi-Überwachung und Repressionen. Was gab den Menschen diesen Mut? Menschen, die in einem Überwachungsstaat aufgewachsen waren, der Andersdenkende ausspionierte, schikanierte und in Gefängnissen verschwinden ließ? Es waren die Reformen des sowjetischen Partei- und Staatschefs Michail Gorbatschows, der eine grundlegende Umgestaltung des sozialistischen Systems auf den Weg gebracht hatte. Er hatte erklärt, dass jedes sozialistische Land seinen eigenen Weg in die Zukunft finden müsse. Aber Honecker und seine Genossen blockierten jede Veränderung. Sie ließen sogar die sowjetischen Zeitungen im Land verbieten, damit die DDR-Bürger möglichst wenig über Glasnost und Perestroika erfahren sollten. Noch im August ’89 tönte Honecker: „Den Sozialismus in seinem Lauf, so sagt man bei uns immer, halten weder Ochs noch Esel auf!“
Doch die friedliche Revolution war bereits ins Rollen gekommen. Und nichts würde sie mehr aufhalten.
Mit einem hatte die SED-Führung in Ostberlin nämlich nicht gerechnet: dass Ungarn am 10. September 1989 endgültig seine Grenze nach Österreich öffnen würde! Es war wie ein Dammbruch. Zehntausende DDR-Bürger und -Bürgerinnen strömten in den folgenden Wochen durch das neue Schlupfloch in den Westen. Und auch die Menschen, für die „Abhauen“ keine Option war, wurden immer mutiger. Jeden Montag demonstrierten sie in Leipzig und anderen Städten der DDR gegen das verkrustete System und für demokratische Reformen. Eine der Forderungen dieser Montagsdemonstrationen lautete: „Reisefreiheit statt Massenflucht!“ Unterdessen harrten noch Tausende Menschen auf den Botschaftsgeländen in Prag und Warschau aus. Als Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher den Botschaftsflüchtlingen in Prag schließlich ihre Ausreise ankündigte, wollte der Jubel kein Ende nehmen. Am selben Tag erfuhren auch die Botschaftsflüchtlinge in Warschau, dass sie in die Bundesrepublik ausreisen durften. Das letzte Kapitel in der Chronik der Mauer wurde geschrieben.
Und die DDR-Führung? Die war mit den Vorbereitungen zum„40. Geburtstag der Republik“ beschäftigt. Doch die Feierlichkeiten am 7. Oktober konnten den Zusammenbruch des DDR-Regimes nicht mehr aufhalten. Am 9. Oktober demonstrierten bereits 70.000 Menschen in Leipzig. Der Ruf „Wir sind das Volk!“ erschallte in immer mehr Städten der DDR. In einem letzten Versuch, die Lage zu beruhigen, wurde Honecker am 18. Oktober von seinen eigenen Genossen zum Rücktritt gezwungen. Sein Nachfolger Egon Krenz versprach Reformen, aber auch er konnte die friedliche Revolution nicht mehr aufhalten. Der 9. November sollte endgültig das Ende des sozialistischen Regimes in der DDR bringen.
An diesem Tag demonstrierten hunderttausende Menschen in Berlin. Unterdessen saß der Sekretär für Informationswesen im Politbüro, Günter Schabowski, in einer Pressekonferenz und verlas stockend einen Gesetzentwurf des DDR-Ministerrats, den man ihm kurz zuvor zwischen Tür und Angel in die Hand gedrückt hatte. Den Inhalt des Papiers kannte er nicht und schon gar nicht die Tragweite des Textes, den er in diesem Moment selbst zum ersten Mal las: eine neue Ein- und Ausreiseregelung mit Reiseerleichterungen auch nach Westdeutschland. Privatreisen ins Ausland sollten ohne besondere Voraussetzungen kurzfristig genehmigt werden. Und wer die DDR für immer verlassen wolle, könne dies jederzeit tun.
Geistesgegenwärtig hakte ein aufmerksamer DPA-Reporter nach und fragte, ab wann diese Regelung in Kraft trete. Daraufhin stotterte Schabowski: „Das tritt nach meiner Kenntnis ... ist das sofort, unverzüglich.“
Schabowski war ganz offenbar nicht im Bilde. Denn ursprünglich sollte die neue Reiseregelung erst am nächsten Tag in Kraft treten und außerdem von Genehmigungen der Volkspolizei abhängig gemacht werden. Doch Schabowskis „Ab sofort“ war in der Welt und alle Dämme brachen. Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile. Menschenmengen sammelten sich vor dem Grenzübergang Bornholmer Straße. Die Grenzsoldaten, überrumpelt und ohne klare Anweisungen, öffneten schließlich die Schranken, und Tausende strömten jubelnd nach Westberlin. Auch an den anderen Grenzübergängen hoben sich die Schlagbäume. 28 Jahre nach dem Mauerbau war die Mauer Vergangenheit und Günter Schabowski ging als der Mann in die Geschichte ein, der versehentlich die Öffnung der Grenze in die Wege leitete. Die Wiedervereinigung Deutschlands war in greifbare Nähe gerückt. Und nun trat der Mann auf den Plan, der als der „Kanzler der deutschen Einheit“ in die Geschichte einging: Helmut Kohl, der Regierungschef der Bundesrepublik Deutschland. Mit seinem „Zehn-Punkte-Programm“ wollte er den Weg zur deutschen Wiedervereinigung aufzeigen.
Zusammenfassung
Nachdem Michail Gorbatschow ab 1985 in der Sowjetunion weitreichende Reformen umsetzte und sie auch anderen sozialistischen Ländern zugestand, hoffte auch die DDR-Bevölkerung auf Demokratie und Reisefreiheit. Doch die Staatsführung verweigerte jeden Reformgedanken.
Zehntausende DDR-Bürger demonstrierten 1989 für Reisefreiheit und demokratische Reformen. Parallel erlebte das Regime einen Ausreisestrom in nie gekanntem Ausmaß. Tausende suchten in den deutschen Botschaften von Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei Zuflucht.
Bundesaußenminister Hans Dietrich Genscher handelte die Ausreiseerlaubnis für die Botschaftsflüchtlinge in Prag aus. Als Ungarn im September endgültig die Grenze nach Österreich öffnete, setzte eine Massenflucht ein.
Am 9. November verkündete der Parteifunktionär Günter Schabowski auf einer Pressekonferenz in Berlin mehr oder weniger irrtümlich, dass DDR-Bürger „ab sofort“ ausreisen dürften. Daraufhin stürmten Menschenmassen die Grenzübergänge.
Die Bewacher waren überrumpelt und hatten keine eindeutigen Befehle, sodass sie die Menschen schließlich passieren ließen. Die Berliner Mauer und wenige Tage später auch die innerdeutsche Grenze waren Vergangenheit.
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Richtige Antworten:
1. D) Michail Gorbatschow
2. C) Botschaften der Bundesrepublik Deutschland
3. B) Den „40. Geburtstag der Republik“
4. A) Hans-Dietrich Genscher
5. C) Prag
6. D) Günter Schabowski
An diesem Tag verkündete der Parteifunktionär Günter Schabowski auf einer Pressekonferenz in Berlin mehr oder weniger irrtümlich, dass DDR-Bürger „ab sofort“ ausreisen dürften. Daraufhin stürmten Menschenmassen die Grenzübergänge – zunächst in Berlin, dann auch entlang der innerdeutschen Grenze. Ein Jahr später kam die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten.
Die Reformen des sowjetischen Staatspräsidenten Michail Gorbatschow (Perestrojka und Glasnost), die Wirtschaftskrise der DDR und die Massenflucht der DDR-Bürger in den Westen bereiteten ihr den Boden. Gorbatschow hatte erklärt, dass jedes Land seinen eigenen Weg in die Zukunft finden müsse. Polen und Ungarn richteten sich danach, nur das DDR-Regime blockierte jede Veränderung.
Im Oktober 1989 wollten Honecker und seine Genossen noch den „40. Geburtstag der Republik“ mit Staatsgästen und Paraden begehen. Doch die Feierlichkeiten am 7. Oktober konnten den Zusammenbruch des DDR-Regimes nicht mehr aufhalten. Am 9. Oktober 1989 demonstrierten bereits 70.000 Menschen in Leipzig, obwohl die Staatssicherheit Gefechtsalarm ausgelöst hatte und die NVA in Bereitschaft versetzt worden war. Aber unter Honeckers Getreuen überwog die Angst vor den Folgen. In einem letzten Versuch, die Lage zu beruhigen, wurde Honecker am 18. Oktober von seinen eigenen Genossen abgesetzt. Doch auch sein Nachfolger Egon Krenz konnte die friedliche Revolution nicht mehr aufhalten.
Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher verkündete am Abend dieses Tages vom Balkon der Prager Botschaft, dass die auf dem Gelände versammelten DDR-Flüchtlinge nun ausreisen dürften. Rund 4000 Ausreisewillige harrten dort seit Wochen aus, weil sie keinen anderen Ausweg mehr sahen. Am selben Tag erfuhren auch die Botschaftsflüchtlinge in Warschau, dass sie in die Bundesrepublik ausreisen durften. Genscher hatte am Rande einer Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York auf eine schnelle Lösung eines Flüchtlingsproblems gedrängt, das nicht nur in Prag, sondern auch in Warschau und Budapest gewaltige Ausmaße angenommen hatte. Seit dem Sommer 1989 drängten sich tausende DDR-Bürger auf den Grundstücken der bundesdeutschen Botschaften in Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei.
Am 10. September hatte Ungarn seine Grenze zu Österreich geöffnet und zehntausende DDR-Bürger strömten in den folgenden Wochen durch das neue Schlupfloch in den Westen. Auch die Menschen, für die „Abhauen“ keine Option war, fassten Mut. Jeden Montag demonstrierten sie nun in vielen Städten der DDR für demokratische Reformen. Eine der Forderungen dieser Montagsdemonstrationen lautete: „Reisefreiheit statt Massenflucht!“
Gut 28 Jahre lang. Die Mauer wurde 1961 auf Betreiben des DDR-Staatschefs Walter Ulbricht errichtet. Er hatte lange gebraucht, um die Erlaubnis des Sowjet-Chefs Nikita Chruschtschow zu bekommen, denn der sah im Bau der Berliner Mauer die eigene Doktrin konterkariert, dass das sozialistische System dem kapitalistischen überlegen sei. Die anhaltende Fluchtbewegung der DDR-Bürger sprach allerdings eine andere Sprache. Die noch durchlässige Sektorengrenze der Viermächtestadt Berlin bildete das letzte Schlupfloch zwischen Ost und West. Durch den Mauerbau wurde es geschlossen. Die Mauer war fast drei Jahrzehnte lang Symbol des Kalten Krieges und der deutschen Teilung.
Sie war ein Ereignis, das es so noch nicht gegeben hatte: Bürgerinnen und Bürger führten ohne Blutvergießen das Ende eines Regimes und letztlich auch den Fall des Eisernen Vorhangs herbei, der vier Jahrzehnte lang Ost und West getrennt hatte. Das gab auch den Verfolgten anderer Regimes Mut und weckte Hoffnung, mit gewaltfreiem Widerstand Veränderungen erreichen zu können.