Diesen Titel gab Simone de Beauvoir dem ersten Teil ihrer eigenen Biografie, die sie zwischen 1958 und 1981 in mehreren Büchern veröffentlichte. Darin erzählt sie, wie sie zu der Frau wurde, die heute als Schriftstellerin, Philosophin und Feministin weltberühmt ist. In dieser Story erfährst du, welches tragische Ereignis ihr Leben grundlegend verändert hat.
In der schlichten Klinikkapelle ist es still. Bedrückend still. Inmitten von Kerzen und Blumen ist eine junge Frau aufgebahrt. Sie trägt ein langes Nachthemd, und ihr gelblich-hageres Gesicht wird von dunklen Locken umrahmt. In ihren Händen liegt ein Kruzifix. Neben der Toten stehen die trauernden Eltern, die immer noch nicht fassen können, was passiert ist. Niemand weiß genau, woran ihre Tochter gestorben ist. Die Ärzte vermuten eine Hirnhautentzündung, aber eine eindeutige Diagnose haben sie nicht. Anders die 21-jährige Simone de Beauvoir, die ebenfalls voller Schmerz auf ihre tote Freundin blickt. Simone weiß, dass Zaza nicht an einer Krankheit gestorben ist. Ach, hätte sie Zaza doch nur helfen können! Nun ist es also an ihr, allein fortzusetzen, was sie und Zaza gemeinsam begonnen haben.
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Jetzt runterladen!Der Tod ihrer besten Freundin Zaza hat Simone de Beauvoir tief erschüttert – und sie gleichzeitig auf ihrem Weg bestärkt. Fast drei Jahrzehnte später, im Jahr 1958, wird sie den ersten von insgesamt fünf autobiografischen Büchern veröffentlichen: ihre „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“. Der Begriff „Autobiografie“ kommt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus „autos“ („selbst“) und „bios“ („Leben“). Eine Geschichte über das eigene Leben also. Darin erzählt Simone de Beauvoir die Geschichte einer jungen Heldin, die sich von den Fesseln ihrer Herkunft und ihres Geschlechts befreit. Es ist ihre Geschichte. Und sie beginnt in Paris.
Dort wird Simone de Beauvoir 1908 geboren. Zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Hélène wächst sie in einer großbürgerlichen Familie auf, wird selbstverständlich christlich erzogen und auf eine katholische Privatschule geschickt. Doch die gesellschaftlichen Ambitionen der Familie übersteigen deren finanziellen Mittel bei weitem: Da Vater Georges ein arbeitsscheuer Schöngeist ist, lebt die Familie ohnehin hauptsächlich von einer Erbschaft. Als es 1917 in Russland zur Revolution kommt, verliert Georges aber auch noch einen Großteil seines Vermögens, das er in russischen Aktien angelegt hatte. Die de Beauvoirs müssen ihr Dienstmädchen entlassen und in eine kleinere Wohnung ziehen. Aus der ungewohnten Enge flüchtet Simone in die Welt der Bücher. Sie träumt davon, eines Tages selbst Geschichten zu schreiben und eine berühmte Schriftstellerin zu werden.
Kein schlechter Plan, denn ihr verarmter Vater wird ihr keine angemessene Mitgift für eine standesgemäße Ehe zahlen können. So ist es damals üblich: Die Braut bringt Geld und Werte mit in die Ehe und wird dennoch wirtschaftlich von ihrem Ehemann abhängig sein. Denn Berufstätigkeit und damit eigenes Geld sind für gutbürgerliche Damen gesellschaftlich unmöglich.
Immerhin: Weil die Familie keinen männlichen Nachwuchs hat, behandelt Georges de Beauvoir seine Erstgeborene wie einen Sohn. Er unterhält sich mit ihr über Kultur und Literatur und prahlt: „Simone denkt wie ein Mann.“ Das findet sie sehr gut. Doch als Teenager bemerkt sie zunehmend die weltanschauliche Kluft zwischen ihren Eltern: Vater Georges steht für die öffentliche, intellektuelle Welt der Männer und damit für deren nahezu unbegrenzte Rechte und Freiheiten. Ihre Mutter Françoise hingegen verkörpert die konservative katholische Moral und das gefühlsbetonte Innenleben im beengten häuslichen Umfeld.
Ein wichtiger Schritt auf Simone de Beauvoirs Lebensweg ist die Abkehr vom katholischen Glauben. Sie ist ungefähr 14, als sie sich der Philosophie zuwendet. Erstaunt und fasziniert stellt sie fest: Die Philosophie hinterfragt vermeintliche Gegebenheiten! Simone ist so hingerissen davon, dass sie beschließt, Philosophielehrerin zu werden. Ihren Eltern passen diese Pläne gar nicht. Doch Simone setzt sich durch und beginnt 1926 ihr Philosophiestudium an der Pariser Universität Sorbonne. Ihre Eltern aber sehen darin den endgültigen Beweis für ihr gesellschaftliches Scheitern: Indem ihre Tochter einen Beruf ergreift, verrät sie sowohl ihre Herkunft als auch ihr Geschlecht. Töchter aus gutem Hause sollten nun mal nicht arbeiten müssen!
Auch Simones beste Freundin Élisabeth Lacoin, genannt Zaza, hat Stress mit ihren Eltern. Simone und Zaza sind seit ihrer Schulzeit befreundet, obwohl sie nicht unterschiedlicher hätten sein können: Zaza ist lebenslustig, frech und herausfordernd, Simone eher brav und angepasst. Im Lauf der Zeit aber haben sich die Rollen verkehrt: Simone studiert und hat somit selbst über ihre Zukunft entschieden. Für Zaza hingegen ist die standesgemäße Versorger-Ehe vorgesehen, denn im Gegensatz zu den De Beauvoirs hat ihre Familie genug Geld für eine angemessene Mitgift. Das Problem ist nur, dass sich Zaza in einen Kommilitonen von Simone verliebt hat. Als angehender Gymnasiallehrer ist der zwar eigentlich eine brauchbare Partie, doch in Zazas Kreisen kommen Ehen nun mal nicht romantisch zustande, sondern werden arrangiert. Kurzum: Zazas Eltern sind strikt gegen die Verbindung. Und Zaza? Die reibt sich mehr und mehr auf zwischen dem Wunsch, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, und der Gepflogenheit, es ihrer geliebten Mutter recht zu machen. Dieser innere Konflikt setzt ihr seelisch und körperlich zu; sie ist blass, magert ab und leidet unter starken Kopfschmerzen. Dann wird Zaza plötzlich ernsthaft krank. Sie bekommt hohes Fieber – und nur wenige Tage später ist sie tot.
Der unerwartete Tod ihrer besten Freundin markiert einen Wendepunkt in Simone de Beauvoirs Leben. Und so lässt sie die „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“ auch genau damit enden. Eine künstlerische Entscheidung, die deutlich macht, dass auch Lebenserinnerungen literarische Werke sind. Sie geben nicht einfach wieder, was passiert ist, sondern haben einen Erzählbogen und verfolgen eine bestimmte Absicht. Simone de Beauvoir geht es darum, aus ihrem Leben eine eigene Geschichte herauszufiltern. Darin ist sie selbst die Heldin: die junge Frau, die sich von ihrer bürgerlichen Herkunft und ihrem Elternhaus löst. Simone ist davon überzeugt, dass ihre Freundin Zaza nicht an einer Krankheit gestorben, sondern an den konservativen Erwartungen des Bürgertums zerbrochen ist. „Zusammen haben wir beide gegen das zähflüssige Schicksal gekämpft, das uns zu verschlingen drohte, und lange Zeit habe ich gedacht, ich hätte am Ende meine Freiheit mit ihrem Tod bezahlt“, schreibt Simone de Beauvoir. Zazas Tod bestärkt sie darin, endgültig auf Freiheit zu setzen.
Der erste Band ihrer Autobiografie endet denn auch mit Zazas Tod – und mit der Begegnung mit der Liebe ihres Lebens: dem Philosophen Jean-Paul Sartre. Es wird eine ungewöhnliche Beziehung werden, denn die bürgerliche Ehe lehnen beide ab! Stattdessen schließen die beiden einen Vertrag, einen „Pakt“. In ihrem zweiten Memoiren-Band „In den besten Jahren“ schildert sie diese Zeit ihres Lebens zwischen 1929 und 1944, die auch im Mittelpunkt ihres ersten Romans „Sie kam und blieb“ (Erscheinungsdatum 1943) steht. Der dritte Band ihrer Autobiografie, „Der Lauf der Dinge“, beginnt mit der Befreiung der Hauptstadt Paris von den deutschen Besatzungstruppen und schildert unter anderem die Reaktionen auf das Werk, das sie weltberühmt machen sollte: die Abhandlung „Das andere Geschlecht“.
„Alles in Allem“ und „Die Zeremonie des Abschieds“ heißen die beiden letzten Bände ihrer Memoiren. Sie starb 1986 und ruht in einem gemeinsamen Grab mit Jean-Paul Sartre auf dem Pariser Friedhof Montparnasse.
Zusammenfassung
Simone de Beauvoir wuchs in einer großbürgerlichen Pariser Familie auf und wurde katholisch erzogen.
Ihr Vater verlor 1917 einen Großteil seines Vermögens, weshalb er sich keine angemessene Mitgift für seine Töchter leisten konnte. Eine standesgemäße Versorgerehe kam für sie also nicht mehr in Frage.
Als Jugendliche verlor Simone de Beauvoir ihren katholischen Glauben und begann, sich für Philosophie zu interessieren.
Simone de Beauvoirs beste Freundin Zaza sollte auf Wunsch ihrer Eltern verheiratet werden, jedoch nicht mit dem Mann, den sie liebte. Als die 21-jährige Zaza nach kurzer, heftiger Krankheit starb, war Simone davon überzeugt, dass ihre Freundin an den konservativen Erwartungen des Bürgertums zerbrochen ist.
Zazas Tod bestärkte Simone de Beauvoir darin, ihren eigenen Weg weiterzugehen. In ihrem autobiografischen Werk „Memoiren einer Tochter aus gutem Hause“ erzählt die Schriftstellerin Simone de Beauvoir die Geschichte einer jungen Heldin, die sich von ihrer Herkunft befreit.
Weitere bedeutende Werke Simone de Beauvoirs sind unter anderem die Romane „Das Blut der anderen“ (1945, in Deutschland 1963 erschienen beim Rowohlt Verlag), „Alle Menschen sind sterblich“ (1946, dt. 1949 Rowohlt TB) sowie der mit dem Prix Goncourt ausgezeichnete Roman „Die Mandarins von Paris“ (1954, dt. 2002 Rowohlt Taschenbuch Verlag).
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. C) Simone de Beauvoir
2. B) Den Tod ihrer besten Freundin Élisabeth Lacoin, genannt Zaza
3. D) Schriftstellerin, Philosophin und Feministin
4. B) Autobiografie
5. A) „Sie kam und blieb“