Europas Fürsten hatten 1815 auf dem Wiener Kongress die alte Ordnung wiederhergestellt und hielten eisern an ihr fest. Der Ruf nach Reformen, nach Einheit und Freiheit aber hallte weiter durch den Deutschen Bund. Und dann kam es zu einem der folgenreichsten Attentate in der deutschen Geschichte. Was genau passierte, hörst du in dieser Story.
Ein Nachmittag im März des Jahres 1819. Nervös blickt sich der Student noch einmal um, bevor er die Treppe zum Haus des Dichters hinaufsteigt. Monatelang hat er sich auf diesen Tag vorbereitet. Und jetzt hat er nur eines im Sinn: Mord. Ahnungslos empfängt der Dichter den Studenten im Wohnzimmer. Die beiden Männer wechseln nur wenige Worte. Noch einmal fühlt der Student nach dem Dolch im Ärmel seiner Jacke. Und dann passiert es. Er zieht seine Waffe und sticht zu. Wieder und wieder. Ein Dolchstoß trifft den Dichter mitten ins Herz. Blutüberströmt bricht er zusammen. Der Student will gerade das Haus verlassen, als er in die entsetzten Augen eines kleinen Kindes blickt. Es ist der vierjährige Sohn des Opfers – und er hat alles mit angesehen. Der Anblick des Kindes führt dem Studenten seine eigene schreckliche Tat vor Augen. Wieder greift er nach dem Dolch – und sticht sich in die eigene Brust. Doch der Selbstmordversuch misslingt. Blutend rennt der Student hinaus auf die Straße. Dort kniet er nieder und ruft aus: „Gott, ich danke Dir für diesen Sieg!“ Dann greift er wieder zum Dolch und stößt ihn sich ein zweites Mal in die Brust.
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Jetzt runterladen!Am 23. März 1819 ermordete der Student Karl Ludwig Sand in Mannheim den Dichter und Schriftsteller August von Kotzebue. Aber warum bringt ein Student einen Dichter um?
Um das zu verstehen, müssen wir uns die deutschen Verhältnisse in dieser Zeit etwas genauer anschauen. Nach dem Wiener Kongress war die Enttäuschung über die Wiederherstellung des alten Herrschaftssystems vor allem an den Universitäten groß. Sie hatten sich demokratische Reformen, Mitsprache und neue Freiheiten erhofft. Überall schlossen sich Studenten zu Burschenschaften zusammen. Landauf, landab organisierten sie Proteste und forderten politische Reformen. Eine dieser Aktionen war das Wartburgfest im Oktober 1817, auf dem rund 500 Studenten Freiheitsrechte und die nationale Einheit forderten. Sie formulierten 35 Grundsätze für eine Zukunft Deutschlands ohne uneingeschränkte Fürstenherrschaft und angeblich gottgegebene Vorrechte des Adels. Einer davon lautete: „Der Wille des Fürsten ist nicht das Gesetz des Volkes, sondern das Gesetz des Volkes soll der Wille des Fürsten sein“.
Die Fürsten und Könige im Deutschen Bund beobachteten dies alles mit wachsendem Misstrauen. Polizei und Geheimpolizei überwachten die Rädelsführer. Doch noch zögerten sie, gegen die Burschenschaften und deren Aktivitäten vorzugehen. Aber Teile der Studentenbewegung radikalisierten sich.
Und dann kam es zu eben jenem Mord an dem Schriftsteller August von Kotzebue. Es war eines der folgenreichsten Attentate in der deutschen Geschichte. Kotzebue war Anhänger der Monarchie, hielt überhaupt nichts von der Idee einer nationalen Einheit und brachte das in seinen Schriften auch deutlich zum Ausdruck. Für den Studenten Karl Ludwig Sand, 23 Jahre alt, war das Grund genug, den Dichter zu töten. Nach dem Mord wollte sich der Student selbst das Leben nehmen. Der Versuch aber scheiterte. Er kam in Haft und wurde zum Tode durch das Schwert verurteilt.
Dem Anliegen aller fortschrittlichen Kräfte, die sich für Bürgerrechten und ein geeintes Deutschland einsetzen, hatte Sand mit seiner Tat keinen guten Dienst erwiesen.
Er tötete für die Freiheit. Erreicht hat er das Gegenteil. Denn nach dem Attentat nutzte ein mächtiger Mann im Deutschen Bund die aufgeheizte Stimmung, um seine eigenen Vorstellungen von Ruhe und Ordnung durchzusetzen: Österreichs Außenminister Fürst von Metternich. Der Mann also, der bereits den Wiener Kongress geleitet hatte, zum Dank dafür von Kaiser Franz I. das berühmte Wein-Anbaugebiet Schloss Johannisberg im Rheingau bekommen hatte und nun Vorsitzender der Bundesversammlung war. Im Sommer 1819 lud er hochrangige Vertreter aus zehn deutschen Ländern zu einer besonderen Konferenz in den böhmischen Kurort Karlsbad ein. Diese Konferenz sollte schwerwiegende Folgen für die demokratisch gesinnten Kräfte im Deutschen Bund haben.
Was die deutschen Könige und Fürsten auf der Karlsbader Konferenz dann besprachen und beschlossen, war hochbrisant. Neue Gesetze sollten sämtliche nationalen und freiheitlichen Bestrebungen im Deutschen Bund unterdrücken: die sogenannten Karlsbader Beschlüsse. Sie sollten die nationale Einigungsbewegung im Deutschen Bund im Keim ersticken. Fortan wurden die Universitäten überwacht, die Burschenschaften verboten und liberal gesinnte Professoren mit Berufsverbot belegt. Zeitungen und sonstige Schriften mussten vor Erscheinen den Behörden zur Erlaubnis vorgelegt werden. Es herrschte eine sogenannte Zensur. Was den staatlichen Stellen missfiel, durfte nicht gedruckt werden. Die Folge: So manche Zeitungsausgabe erschien mit halbleeren Seiten.
In Mainz wurde eine sogenannte „Zentralkommission zur Untersuchung hochverräterischer Umtriebe“ eingerichtet. Sie sollte unliebsame politische Gruppen überwachen und verfolgen. Und falls einer der deutschen Teilstaaten die Umsetzung der Karlsbader Beschlüsse verweigern sollte, dann durfte der Deutsche Bund dort sogar mit Truppen einrücken.
Was war nur aus der Souveränität der Fürsten geworden, die sie beim Wiener Kongress noch so betont hatten! Aus Angst vor politischen Veränderungen ließen sie zu, dass der Bund in ihre eigenen Herrschaftsgebiete eingriff. Dies alles prägte eine Zeit der Unterdrückung und Bespitzelung, die mehrere Jahrzehnte dauerte und auch als „System Metternich“ bezeichnet wird. Denn der österreichische Außenminister und spätere Staatskanzler Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich kämpfte mit allen Mitteln gegen die Nationalbewegung, die die Macht der Herrschenden bedrohte. Er ließ politische Gegner schikanieren und einsperren – und das nicht nur in Österreich, sondern im ganzen Deutschen Bund. Schon bald wurde Metternich bei Studenten und fortschrittlich gesinnten Bürgern zum verhassten Sinnbild für Unterdrückung und Rückschritt. Erst die Deutsche Revolution 1848 sollte ihn aus dem Amt fegen.
Mit den Karlsbader Beschlüssen war die Meinungsfreiheit im Grunde abgeschafft. Burschenschaften wurden verboten – und sogar Turnvereine! Denn auch in diesen Gruppen, die sich vor allem in Preußen der sportlichen Leibesertüchtigung widmeten, wurden zwischen Barren und Reck nationale Ideen gepflegt. Den allerersten studentischen Turnverein hatte ein gewisser Friedrich Ludwig Jahn in Berlin gegründet, und zwar schon während der Befreiungskriege gegen Napoleon. Damals war es dem preußischen König recht und billig gewesen, dass sich die Jugend mit glühender Begeisterung für die Befreiung von der französischen Oberherrschaft engagierte. Nun aber ließ sich der preußische König von Metternich überzeugen, dieses „staatsgefährdende“ Turnen zu verbieten und die öffentlichen Turnplätze zu schließen. Jeder Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse sollte lahmgelegt werden.
Aber wie es so ist, wenn etwas verboten wird: Es fanden sich Möglichkeiten, im Geheimen weiterzumachen. Das galt für die Burschenschaften ebenso wie für die Turnvereine. Man traf sich in verschwiegenen Lokalen, trainierte hinter verschlossenen Türen und feierte Feste, die in Wirklichkeit politische Kundgebungen waren.
Viele Deutsche aber zogen sich eingeschüchtert ins Privatleben zurück. Dieser Rückzug brachte eine ganz eigene Lebenskultur hervor, die der Zeit zwischen dem Wiener Kongress und der Deutschen Revolution später ihren Namen geben sollte: Biedermeier.
Zusammenfassung
Der Mord eines radikalen Studenten an einem Schriftsteller war der Hauptanlass für die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Sie setzten der nationalen Einigungsbewegung im Deutschen Bund ein vorläufiges Ende.
Der Außenminister von Österreich, Fürst von Metternich, spielte eine maßgebliche Rolle bei der Unterdrückung der deutschen Nationalbewegung. Er nahm auch Einfluss auf die Herrscher anderer Fürstentümer. Sie verzichteten auf einen Teil ihrer eigenen Souveränität, um sich gegen einen möglichen Umsturz abzusichern.
Die Karlsbader Beschlüsse bedeuteten das vorläufige Ende der öffentlichen schriftlichen Meinungsfreiheit. Neben der Pressezensur wurden Kritiker der Fürstenherrschaft bespitzelt, mit Berufsverboten belegt oder eingesperrt. Zielscheibe waren vor allem die Universitäten, weil Studenten und auch viele Professoren für den Nationalgedanken und Bürgerrechte eintraten.
Die Studenten suchten und fanden allerdings andere Möglichkeiten, um die Verbote zu umgehen. Eine Form waren Feste, die in Wirklichkeit politische Kundgebungen waren.
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Richtige Antworten:
1. B) In Karlsbad
2. A) Lothar Fürst von Metternich
3. C) Karlsbader Beschlüsse
4. B) Ermordung des Schriftstellers August von Kotzebue
5. A) Überwachung der Universitäten