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Saarfrage

Es war das erste "neue" Bundesland
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Intro

Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte das Saarland nicht zu Deutschland. Es hatte eine eigene Regierung, wurde aber von Frankreich verwaltet. Eine folgenreiche Abstimmung sollte das allerdings schon bald ändern …

Kapitel 1: Ein besonderes Spiel

„Das Spiel ist beendet! Das Ausscheidungsspiel zur Fußballweltmeisterschaft Saar gegen Deutschland vor 53.000 Zuschauern hier im Stadion Ludwigspark in Saarbrücken ist beendet. Und endete mit einem verdienten 3-zu-1-Sieg der deutschen Mannschaft. Wir verabschieden uns hier nach einem großartigen Eindruck und schalten zurück in das Funkhaus nach Saarbrücken.“

Mit diesen Worten endete eine Fußball-Live-Übertragung im Radio Saarbrücken. Die deutsche Fußballnationalmannschaft hatte gegen das Saarland mit 3:1 gewonnen und sich für die WM in der Schweiz qualifiziert. Der Rest ist Geschichte: Deutschland wurde Weltmeister und der Überraschungssieg wurde als „Wunder von Bern“ gefeiert. 

Aber, Moment mal! Ein FußballLÄNDERspiel zwischen Deutschland und dem Saarland? Jawohl, denn im Jahr 1954 hat die deutsche Fußballnationalmannschaft tatsächlich gegen das Saarland gespielt. Es gehörte damals nämlich nicht zu Deutschland. Und wer weiß: Mit ein wenig Spielglück wäre das Saarland als eigenständige Nation zur Fußballweltmeisterschaft in die Schweiz gefahren …

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Kapitel 2: Wem gehört das Saarland?

Das Saarland: eine winzige, aber wirtschaftlich wichtige und zudem kulturell sehr besondere Region im Südwesten Deutschlands. Die Bevölkerung sprach fast ausnahmslos deutsch, war aber, was die Lebensart betraf, eng mit Frankreich verbunden. Sie pflegte französische Sitten und Essgewohnheiten, kleidete sich nach Pariser Mode. Was also waren die Saarländer nun wirklich? Deutsche? Franzosen? Oder eine eigene Nation? Nicht um diese Frage ging es am 23. Oktober 1955 bei einer Volksabstimmung, die als „Saarreferendum“ in die Geschichte der jungen Bundesrepublik einging. Es ging vielmehr um eine ganz große Idee – eine Idee von europäischer Dimension. Um sie zu verstehen, müssen wir noch einmal viele Jahre zurückblicken.

Das Saarland war nämlich vor allem eines: ein reiches Kohlerevier und bedeutendes Industriegebiet. Und genau aus diesem Grund hatte es in den letzten zwei Jahrhunderten in verschiedenen Kriegen mehrmals den Besitzer gewechselt: Mal gehörte es zu Frankreich, mal zu deutschen Herrschaftsgebieten. Nach dem Ersten Weltkrieg war das Saarland dem gebeutelten Frankreich zugeschlagen worden. Regiert wurde es allerdings von einer internationalen Kommission des Völkerbundes – des Vorläufers der Vereinten Nationen.

Während der Hitlerdiktatur wurde das Saarland widerrechtlich von deutschen Truppen besetzt. Und Anfang 1935 ließ Hitler eine Volksabstimmung veranstalten, bei der mehr als 90 Prozent der Wahlberechtigten für die sogenannte Rückgliederung des Saargebiets an das Deutsche Reich stimmten.

Nach dessen unrühmlichem Ende kam das Saarland zur französischen Besatzungszone. Und was taten die Franzosen? Sie entzogen das reiche Kohlerevier prompt der alliierten Kontrolle und waren drauf und dran, es wieder an Frankreich anzugliedern. Damit aber waren die Amerikaner, Briten und Sowjets nicht einverstanden. Nach einigem Hin und Her einigten sich die Mächte auf einen Kompromiss: Das Saarland bekam eine eigene Staatsregierung und ein eigenes Parlament. In allen wichtigen – vor allem wirtschaftlichen – Dingen aber stand es unter der Oberhoheit Frankreichs. Das nennt sich „Teilautonomie“. Aber irgendwie war dieser teilautonome Mini-Staat keine Dauerlösung, die alle Seiten zufriedengestellt hätte. Vor allem die Politik hatte größere Pläne.

Kapitel 3: Das Saarstatut

Deutsche und französische Spitzenpolitiker wollten Anfang der 1950er-Jahre die Gelegenheit beim Schopf packen, den ewigen Streit um die sogenannte Saarfrage ein für alle Mal zu beenden. Die große Idee: Das Saarland sollte künftig weder französisch noch deutsch sein, sondern ein außerstaatliches Territorium. Mehr noch: Mit genau diesem Status des außerstaatlichen Territoriums sollte es das Herz einer neuen europäischen Union werden: Wichtige europäische Institutionen, wie sie heute in Brüssel oder Straßburg beheimatet sind, sollten im Saarland ihren Sitz haben. Ein Kommissar der Westeuropäischen Union (WEU) würde es nach außen vertreten, innere Angelegenheiten würde es selbst regeln. Die wirtschaftliche Anbindung an Frankreich aber sollte beibehalten werden. Diese großen Pläne wurden im sogenannten „Saarstatut“ festgehalten, das beide Regierungschefs am 23. Oktober 1954 mit Zustimmung der saarländischen Landesregierung unterzeichneten.

Die Franzosen fanden das gut. Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer aber musste sich für seine Unterschrift unter dem Saarstatut böse Kritik anhören. Die SPD warf ihm sogar vor, das Saarland faktisch an Frankreich abgetreten zu haben. Aber das deutsch-französische Abkommen enthielt noch eine entscheidende Klausel: Es sollte nämlich erst in Kraft treten, wenn die Bevölkerung des Saarlands zugestimmt hätte.

Und so kam erstmals in der deutschen Nachkriegsgeschichte ein neues demokratisches Instrument zum Einsatz: eine Volksabstimmung! Die Saarbevölkerung sollte über die Zukunft ihres Staates entscheiden. Die entscheidende Frage konnte einfach mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden und lautete – verkürzt wiedergegeben: „Billigen Sie das Saarstatut?“

Kapitel 4: Ein überraschendes Ergebnis

Als Termin des Referendums wurde der 23. Oktober 1955 festgelegt – auf den Tag genau ein Jahr nach der Unterzeichnung des Saarstatuts. Zeit genug, um sich eingehend mit allen Vor- und Nachteilen, offenen Fragen und zukunftsweisenden Argumenten zu beschäftigen. Denn die Saarländer waren in dieser Frage tief gespalten. Entsprechend erbittert wurde der Wahlkampf geführt. Ein „Deutscher Heimat-Bund“ forderte die Ablehnung und zog mit seiner nationalistischen Argumentation die CDU des Saarlands auf seine Seite. Die stellte sich nun nicht nur gegen ihre Landesregierung, sondern auch gegen ihr prominentestes Mitglied: Bundeskanzler Adenauer, der das Saarstatut doch unterzeichnet hatte!

Aber auch die Befürworter des Saarstatuts führten den Abstimmungskampf mit harten Bandagen. So rückte der Tag der Volksabstimmung näher – und am 23. Oktober 1955 war es schließlich soweit. Im gesamten Saarland strömten die Menschen in die Wahllokale, um ihr Kreuz bei „Ja“ oder „Nein“ zu setzen. Am Abend stand das Ergebnis fest: Mit knapp 68 Prozent der Stimmen war die europäische Lösung abgelehnt worden. Das konnte nur eines bedeuten: Die Saarländer wollten künftig Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland sein! Also blieb den Regierungen nichts anderes übrig, als an den Verhandlungstisch zurückzukehren.

Kapitel 5: Das erste „neue“ Bundesland

Mit einer Ablehnung hatten die Regierungen von Frankreich und der Bundesrepublik nicht gerechnet. Das zeigte sich vor allem darin, dass im Saarstatut zwar die Volksabstimmung festgeschrieben war, aber keine Regelung für den Fall, dass das Volk „Nein“ sagen würde! Und was jetzt? Würde nun das ganze Gerangel um das Saarland und seine Kohlegruben von vorn beginnen? Zum Glück nicht. Nach einem weiteren Jahr intensiver Verhandlungen unterzeichneten die Außenminister von Frankreich und der Bundesrepublik einen neuen Vertrag zur Regelung der Saarfrage. Er sah die schrittweise Rückkehr des Saarlands unter deutsche Hoheit vor. Politisch wurde die Eingliederung mit dem Beitritt zur Bundesrepublik vollzogen: Zum 1. Januar 1957 wurde das Saarland das zehnte deutsche Bundesland. Für die wirtschaftliche Seite galt jedoch eine Übergangszeit. Denn vorläufig blieb das Saarland französisches Zollgebiet und der Franc gesetzliches Zahlungsmittel. Und zwar noch weitere zweieinhalb Jahre. Erst am 6. Juli 1959 war der „Tag X“ gekommen, wie ihn die Saarländer noch heute nennen: Punkt Mitternacht öffneten sich die Schlagbäume an der Grenze zu Deutschland, und die nach Frankreich schlossen sich. Die Saarländer tauschten ihre Francs in D-Mark um. Jetzt war ihr Land auch deutsches Wirtschaftsgebiet.

Aus heutiger Sicht betrachtet war das Saarland das erste „neue“ Bundesland. Tatsächlich sollten die verfassungsrechtlichen Modalitäten rund um seinen Beitritt Jahrzehnte später Vorbild für eine viel größere Wiedervereinigung sein: die Wiedervereinigung Deutschlands.

Zusammenfassung

  • Das Saarland war als Kohlerevier begehrt und schon lange Zankapfel zwischen Franzosen und Deutschen. Spitzenpolitiker beider Länder wollten diesen Konflikt in den 1950er Jahren im Sinne der deutsch-französischen Aussöhnung beenden.  

  • Deutschland und Frankreich einigten sich auf das Saarstatut. Nach diesem Abkommen sollte das Saarland als außerstaatliches Territorium das Herz einer künftigen Europäischen Union werden. Vor dem Inkrafttreten des Saarstatuts sollte aber noch das Volk darüber abstimmen. 

  • Nach einem erbitterten Wahlkampf lehnten knapp 68 Prozent der teilnehmenden Saarländer 1955 das Saarstatut ab. Dieses Ergebnis wurde als Willensbekundung für einen Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland gewertet.

  • Zum 1. Januar 1957 wurde das Saarland schließlich das zehnte Bundesland. Die wirtschaftliche Eingliederung – verbunden mit der Einführung der D-Mark – wurde allerdings erst Mitte 1959 vollzogen.  

  • Die rechtlichen Regelungen zum Beitritt des Saarlands zur Bundesrepublik standen im Jahr 1990 Modell für die Wiedervereinigung Deutschlands.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Um welches Regierungsabkommen ging es bei der Volksabstimmung, die am 23. Oktober 1955 im Saarland stattfand?
    1. A) Das Berliner Viermächteabkommen
    2. B) Die deutsche Wiederbewaffnung
    3. C) Die Gründung der DDR 
    4. D) Das europäische Saarstatut
  2. Worum ging es in dem zwischen Frankreich und der Bundesrepublik ausgehandelten Saarstatut im Wesentlichen?
    1. A) Europäisierung der Saar
    2. B) Anschluss an Frankreich
    3. C) Fusion mit Belgien
    4. D) Austritt aus der EU
  3. In welchem Jahr wurde das Saarstatut ausgehandelt und unterzeichnet?
    1. A) 1945
    2. B) 1954
    3. C) 1971
    4. D) 1935
  4. Was folgte auf die Ablehnung des Saarstatuts in der Volksabstimmung vom 23. Oktober 1955?
    1. A) Die Annexion durch Frankreich
    2. B) Die Auflösung des Saarlandes
    3. C) Der Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland
    4. D) Ein Krieg 
  5. Wie viele Bundesländer hatte die Bundesrepublik Deutschland nach dem Beitritt des Saarlands zum 1. Januar 1957?
    1. A) Zehn
    2. B) Elf
    3. C) Neun
    4. D) Dreizehn

Richtige Antworten: 
1. D) Das europäische Saarstatut
2. A) Europäisierung der Saar
3. B) 1954
4. C) Der Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland
5. A) Zehn

FAQs

Was war das Europäische Saarstatut?

Es war ein Abkommen zwischen den Regierungschefs von Frankreich und der Bundesrepublik über die Europäisierung des Saarlandes. Unterzeichnet wurde es am 23. Oktober 1954; es war Teil der sogenannten Pariser Verträge, die das Besatzungsregime in Westdeutschland beendeten. Das letzte Wort aber erhielt die saarländische Bevölkerung: Das Statut sollte erst nach einer Volksabstimmung, dem sogenannten Saarreferendum, in Kraft treten.

Welches Ziel verfolgten Frankreich und Westdeutschland mit dem Saarstatut von 1954?

Das Saarstatut, das der französische Ministerpräsident Pierre Mendès-France und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer im Jahr 1954 aushandelten, sollte im Sinne der deutsch-französischen Aussöhnung jenen alten Konflikt beenden, der fast zehn Jahre nach Kriegsende noch immer die deutsch-französischen Beziehungen trübte: die sogenannte Saarfrage. Das letzte Wort aber sollte die saarländische Bevölkerung haben, und zwar in einer Volksabstimmung: dem sogenannten Saarreferendum.

Wer wollte die Saar europäisieren?

Anfang der 1950er-Jahre brachte Frankreichs Außenminister Robert Schuman das Thema in die öffentliche Diskussion. Schuman griff damit eine Idee des saarländischen Ministerpräsidenten Johannes Hoffmann auf. Hoffmann trat für einen autonomen Staat mit einer engen wirtschaftlichen und politischen Bindung an Frankreich ein. Dabei gelte es, „für die Saar eine Lösung zu finden, die zur Entspannung des deutsch-französischen Verhältnisse beiträgt und die notwendige europäische Einheit fördert“, sagte er. Eine Mehrheit der Saarbevölkerung wollte aber den Beitritt zur Bundesrepublik. Das zeigte sich letztlich bei der Volksabstimmung über das Saarstatut im Oktober 1955 – obwohl es darin gar nicht um die Beitrittsfrage ging.

Was sah das Saarstatut von 1954/55 im Einzelnen vor?

Das Saarland sollte im Rahmen der Westeuropäischen Union ein außerstaatliches Gebiet werden. Es sollte ein europäisches Statut (Rechtsordnung) bekommen, welches bis zum Abschluss eines Friedensvertrags zwischen Deutschland und den Alliierten nicht mehr in Frage gestellt werden könnte. Ein Kommissar der Westeuropäischen Union sollte die Saarinteressen nach außen vertreten, seine inneren Angelegenheiten sollte das Land eigenständig regeln. Die Wirtschaftsbeziehungen zu Frankreich sollten erhalten und die zur Bundesrepublik ausgebaut werden. Unter diesen Voraussetzungen sollten wichtige europäische Institutionen künftig ihren Sitz in der Landeshauptstadt Saarbrücken haben – allen voran die 1951/52 gegründete Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl. [Link auf Story 1: Schuman-Plan] Sie war eine der ersten Vorgänger-Organisationen der Europäischen Union.

Was war das Ergebnis der Volksabstimmung über die Europäisierung der Saar?

Eine Mehrheit der Saarbevölkerung stimmte dagegen. Damit waren die Pläne zur Europäisierung des Saarlandes hinfällig. Der Ablehnung des Statuts folgten neue Verhandlungen mit der französischen Regierung. Am 27. Oktober 1956 wurde in Luxemburg der Saarvertrag unterzeichnet, mit dem Frankreich der sogenannten Rückgliederung des Saarlands unter deutsche Hoheit zustimmte.

Was war der „Tag X“ an der Saar?

Der „Tag X“ steht in der Erinnerung der Saarbevölkerung für den wirtschaftlichen Anschluss ihres Landes an die Bundesrepublik Deutschland. An diesem Tag, dem 6. Juli 1959, wurde die Grenze zwischen dem Saarland und Rheinland-Pfalz wieder geöffnet und die D-Mark löste den Franc als gesetzliches Zahlungsmittel ab. Der politische Anschluss war bereits zum 1. Januar 1957 erfolgt, nachdem der saarländische Landtag den Beitritt zum Geltungsbereich des deutschen Grundgesetzes erklärt hatte. Um die bis dahin französisch geprägte Wirtschaft auf deutsches Recht umzustellen und den Geldumtausch vorzubereiten, hatten die Regierungen eine Übergangszeit von maximal drei Jahren vereinbart. Wann genau sie enden sollte, wurde nicht bekanntgegeben. Bald sprach man nur noch vom „Tag X“, der im Land sehnsüchtig erwartet wurde.

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