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Schuman-Plan

So reichte Frankreich den Deutschen die Hand
Auf dem Bundesparteitag 1965 in Düsseldorf, Bundesarchiv, B 145 Bild-F019973-0017 / Gerhard Heisler / CC-BY-SA 3.0
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Intro

Wir steigen ein in das Jahr 1949: Aus den drei westlichen Besatzungszonen war ein neuer, demokratischer Staat geworden: die Bundesrepublik Deutschland. Nie wieder sollte von deutschem Boden ein Krieg ausgehen. Dafür wollte vor allem Frankreich sorgen – und das mit einem erstaunlichen Plan …

Kapitel 1: Eine verrückte Idee

Der Franzose Jean Monnet legt den Füllfederhalter aus der Hand – und atmet durch. Er hat es tatsächlich geschafft. Innerhalb von wenigen Tagen hat er seine kühne Idee zu Papier gebracht. Und die Zeit drängt. Frankreich muss nämlich einen Plan präsentieren, wie man in Zukunft mit Deutschland umgehen soll. Wenn Frankreich jetzt nicht handelt, dann machen es andere.

Doch, Moment mal. Ist das jetzt wirklich sein Ernst?! Was soll denn das bitte für ein Plan sein?! Gerade hat Deutschland noch die halbe Welt in Schutt und Asche gelegt, und jetzt soll Frankreich Deutschland die Hand reichen?! Echt jetzt? Und dann sollen Frankreich und Deutschland auch noch ihre wichtigsten Industrien zusammenlegen? Er muss verrückt sein, dieser Monnet!

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Kapitel 2: Ein großer Plan

Verrückt war dieser Monnet ganz sicher nicht. Im Gegenteil: Der pragmatische Unternehmer hatte die richtige Idee zur richtigen Zeit. Und er konnte den französischen Außenminister Robert Schuman davon überzeugen. Der präsentierte nämlich Monnets revolutionäre Ideen am 9. Mai 1950 im französischen Außenministerium am Quai d’orsay in Paris der Weltöffentlichkeit. In einer Regierungserklärung skizzierte er, wie die politische und wirtschaftliche Zukunft Westeuropas aussehen könnte. Die Rede ging als „Schuman-Erklärung“ in die Geschichte ein. Ihr wichtigster Satz lautete: „Die französische Regierung schlägt vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Obersten Aufsichtsbehörde zu unterstellen“. Und diese neue Organisation sollte auch weiteren Ländern offenstehen. Mit anderen Worten:  Diese Schumann-Erklärung legte das Fundament der heutigen Europäischen Union. 

Im Frühjahr 1950 war die EU freilich noch Zukunftsmusik – und eine höchst revolutionäre noch dazu! Denn für die teilnehmenden Staaten ging es bei der europäischen Einigung um nichts weniger, als einen Teil ihrer Eigenständigkeit – ihrer Souveränität – an eine übergeordnete Organisation abzugeben. Und genau darin wurde Frankreich zum Vorreiter: Mit dem Schuman-Plan erklärte es sich nicht nur zur Aussöhnung mit seinem ältesten Feind Deutschland bereit, sondern auch dazu, einen Teil seiner eigenen wirtschaftlichen Autonomie abzugeben. Und zwar an eben jene gemeinsame Aufsichtsbehörde, die künftig die Kohle- und Stahlindustrie beider Staaten überwachen sollte: die „Hohe Behörde“.

Aber: Warum ausgerechnet Kohle und Stahl? Ganz einfach: Weil Kohle und Stahl in beiden Weltkriegen die Grundlage der deutschen Rüstungsmaschinerie gewesen waren. Es waren die großen Industriegebiete im Westen und Südwesten des Deutschen Reichs, die reichen Kohlegruben an Saar und Ruhr, die Stahlwerke und Fabriken in Saarland und im Ruhrgebiet. Schon im Ersten Weltkrieg waren sie zur „Waffenschmiede Deutschlands“ hochgejubelt worden. Und Frankreich wollte sichergehen, dass Deutsche nie wieder einen Krieg anzetteln konnten. Ein für alle Mal.

Kapitel 3: Frieden durch Abhängigkeit

Frankreich hatte also großes Interesse daran, Deutschlands Schwerindustrie zu kontrollieren. Der einfachste Weg dahin wäre wohl gewesen, den Deutschen die Kontrolle über ihre Kohle- und Stahlindustrie einfach komplett und dauerhaft zu entziehen. In diese Richtung waren die Bestrebungen Frankreichs zunächst auch gegangen. Aber damit waren die USA und Großbritannien nicht einverstanden. Sie wollten in dieser Zeit des Kalten Krieges die demokratische Hälfte Deutschlands als künftigen Bündnispartner gegen die kommunistische Sowjetunion gewinnen. Mit Zwang und Demontagen konnte das auf Dauer nicht funktionieren. Und gerade die reichen deutschen Kohlereviere und die Schwerindustrie wurden für den Wiederaufbau dringend benötigt!  

Es musste also einen anderen Weg geben. Und genau hier schlug die Stunde von Jean Monnet. Er lieferte den Plan, den Frankreich so dringend brauchte, um Amerikaner und Briten zufriedenzustellen – und um weiterhin Einfluss auf die deutsche Schwerindustrie und damit auf die Produktion von Rüstungsgütern zu nehmen.

Monnets Idee war so einfach wie genial: Wenn sich Deutschland und Frankreich in den Bereichen Kohle- und Stahl voneinander abhängig machen, dann führen sie keine Kriege mehr gegeneinander. Und noch besser wäre es, wenn sich gleich mehrere Länder in Europa auf diesem Gebiet wirtschaftlich miteinander verflechten würden.

Der erste Schritt hin zu einer europaweiten Verflechtung wurde 1950 in der Schuman-Erklärung vollzogen. Jetzt mussten den Worten nur noch Taten folgen …

Kapitel 4: Die Montanunion

Im Juni 1950 war es dann soweit: Jean Monnet stellte in Paris vor Vertretern mehrerer westeuropäischer Staaten den Vertragsentwurf für eine „Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS) vor. Unter der Aufsicht einer gemeinsamen „Hohen Behörde“ sollte ein grenzübergreifender Markt ohne Binnenzölle und mit regulierten Preisen entstehen. 

Das traf länderübergreifend auf Widerstand aus Unternehmerkreisen, die darin eine Art „Verstaatlichung“ und in der Hohen Behörde ein „Verwaltungsmonster“ sahen. Stahlunternehmen drohten mit Kurzarbeit und Abwanderung. Die Verhandlungen zogen sich in die Länge. Aber die Politik verfolgte das Projekt unbeirrt weiter. Vor allem dem deutschen Bundeskanzler Adenauer war es wichtig, dass die Bundesrepublik endlich als gleichberechtigtes Mitglied in den Kreis der anderen europäischen Staaten aufrücken konnte. Nach und nach wurden alle Bedenken ausgeräumt oder Kompromisse gefunden. Der Weg für einen bis dahin beispiellosen Schritt war frei: Sechs westeuropäische Staaten traten freiwillig einen Teil ihrer Hoheitsrechte an eine gemeinsame Organisation ab. Am 18. April 1951 unterzeichneten sie den Gründungsvertrag der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl.

Bekannt wurde diese Gemeinschaft unter dem Begriff „Montanunion“ – also die Vereinigung aller Industrien, die mit Bergbau und Erzverarbeitung zu tun haben. Sie trat an die Stelle der Internationalen Ruhrbehörde, die im April 1949 als Aufsichtsgremium gegründet worden war, um die alliierte Kontrolle über die westdeutsche Kohle- und Stahlproduktion auszuüben. Deutschland hatte darin zunächst kein Stimmrecht. Erst mit der Gründung der Bundesrepublik hatte sich das geändert; sie durfte fortan drei stimmberechtigte Vertreter in die Ruhrbehörde entsenden.

Nun, im Juli 1952, trat der Gründungsvertrag der Montanunion in Kraft. Mitglieder wurden neben Frankreich und Westdeutschland auch Italien, Belgien, Luxemburg und die Niederlande. Jean Monnet wurde der erste Präsident der Hohen Behörde, die ihren Sitz in Luxemburg hatte. Eine solche Institution hatte es noch nicht gegeben. Nicht mehr die Nationalstaaten hatten das Sagen über die Kohle- und Stahlproduktion, sondern eben die Hohe Behörde. Sie gilt als Vorläuferin der Europäischen Kommission – die in der EU die Aufgaben einer Regierung Europas wahrnimmt. 

Im Osten aber hatten sich neue Bedrohungen zusammengebraut. Und die Westmächte mussten sich mit einem Gedanken auseinandersetzen, den sie bis dahin weit von sich gewiesen hatten: die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik Deutschland.

Zusammenfassung

Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte sich Frankreich für eine dauerhafte Kontrolle  der deutschen Schwerindustrie ein. Damit sollten eine neue Aufrüstung und ein neuer deutscher Angriffskrieg verhindert werden. 

Am 9. Mai 1950 schlug der französische Außenminister Robert Schuman in einer Regierungserklärung vor, die Kohle- und Stahlindustrie Frankreichs und Westdeutschlands unter die Aufsicht einer gemeinsamen europäischen Behörde zu stellen. Diese Wirtschaftskooperation sollte auch weiteren Ländern offen stehen. 

Der erste Präsident der Hohen Behörde mit Aufsicht über die Montanunion war der französische Unternehmer Jean Monnet. Er war Ideengeber und maßgeblicher Mitentwickler des Schuman-Plans.

Aus dem Schuman-Plan ging die Gründung der „Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EGKS) hervor. Bekannt wurde sie unter dem Begriff „Montanunion“. Sie sollte zur Keimzelle der späteren Europäischen Union werden.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Welcher Plan war 1951 die Basis für die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl?
    1. A) Der Marshallplan
    2. B) Der Schumanplan
    3. C) Der Schlieffenplan
    4. D) Der Fünfjahresplan 
  2. Wer war der Ideengeber und Entwickler des Schuman-Plans und gilt als einer der Gründerväter der Europäischen Integration?
    1. A) Jean-Jacques Rousseau
    2. B) Konrad Adenauer
    3. C) Andreas Wilkens
    4. D) Jean Monnet
  3. Welche geniale Idee des Franzosen Jean Monnet sollte in Europe den Frieden sichern und legte den Grundstein für die spätere Europäische Union? 
    1. A) Einführung von Schutzzöllen 
    2. B) Besetzung Deutschlands
    3. C) Zusammenlegung der westeuropäischen Schwerindustrie
    4. D) Wettrüsten zwischen Deutschland und Frankreich 
  4. Wie lautete die gängige Kurzbezeichnung für die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl, die 1952 ihre Arbeit aufnahm?
    1. A) Berg- und Hüttenverein
    2. B) Europarat
    3. C) Montanunion
    4. D) Kohlenpott 
  5. Wo hatte die Hohe Behörde, die die Aufsicht über die 1951 gegründete Montanunion führte, ihren Sitz?
    1. A) In Luxemburg
    2. B) In London
    3. C) In Brüssel
    4. D) In Berlin

Richtige Antworten: 
1. B) Der Schumanplan 
2. D) Jean Monnet
3. C) Zusammenlegung der westeuropäischen Schwerindustrie 
4. C) Montanunion
5. A) In Luxemburg

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