Jahrelang war er die rechte Hand des englischen Königs – nur bei einem Problem konnte er ihn nicht unterstützen. Sein Gewissen verbot es ihm. Am Ende ging Sir Thomas Morus für seine Überzeugung sogar in den Tod. In dieser Story hörst du, wie Heinrich VIII. mit politischen Gegnern umsprang und wer seine bekanntesten Opfer waren.
Geduldig hat der verurteilte Hochverräter die Mittagsstunde abgewartet. Erst jetzt hat er für ein, zwei Stunden genügend Tageslicht in seiner düsteren Gefängniszelle, um seinen letzten Brief schreiben zu können. Oh, wie winzig ist dieses Blatt Papier und wie grob das Stückchen Kohle in seiner Hand! Wenige Sätze müssen reichen, um seiner Tochter Margaret einen letzten Trost zu senden. Morgen wird er sterben, aber der Gefangene im Tower von London ist ruhig und gefasst. Seine Arbeit ist getan. Der Tod schreckt ihn nicht mehr, er wird nur die Leiden seines geschwächten Körpers beenden. Erfolglos hat er versucht, die Herren des königlichen Gerichts davon zu überzeugen, dass er nie ein böses Wort über den König oder dessen Ehe mit Lady Anne gesagt hat. Nur diesen Eid − den kann er nicht leisten. Denn: Wie soll er seinem König gehorchen, ohne zugleich Gott zu beleidigen?
Dies alles hat er seiner Tochter Margaret immer wieder erklärt, nun aber heißt es Abschied nehmen. Der Gefangene beugt sich über den halbfertigen Brief und schreibt: „Es geht mir gut, mein liebes Kind, und bete für mich, und ich werde für dich und all deine Freunde beten, damit wir uns fröhlich im Himmel treffen können.“
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Jetzt runterladen!Der Gefangene im Tower war Thomas Morus: Philosoph und Humanist, Verfasser weltberühmter Werke – und ehemaliger Lordkanzler von König Heinrich VIII. Sir Thomas More, so sein englischer Name, wurde am 6. Juli 1535 auf dem Tower Hill in London enthauptet. Über ein Jahr war er inhaftiert gewesen, anfangs noch unter anständigen Bedingungen, zuletzt in einer feuchten düsteren Zelle. Wegen Hochverrats war er von einem Gericht, das von seinen Gegnern dominiert wurde, zum Tode verurteilt worden, und zwar zu jenem schändlichen Foltertod durch Hängen, Ausweiden und Vierteilen! Erst im Nachhinein, kurz vor dem angesetzten Hinrichtungstermin, „begnadigte” ihn der König zur einfachen Enthauptung. Aber warum das alles? Weil er sich geweigert hatte, dem König als neuem Oberhaupt der Kirche Englands einen Eid zu schwören. Heinrich VIII. verlangte diesen sogenannten Suprematseid von der gesamten geistlichen Führungsschicht. Sie sollte beschwören, dass sie nicht mehr dem Papst in Rom gehorchen werde, sondern ausschließlich dem König von England. Thomas Morus indessen war kein Geistlicher. Er war nur noch Privatmann, seit er 1532 sein Amt als Lordkanzler niedergelegt hatte. Schon damals hatte es Differenzen zwischen ihm und dem König gegeben: zum einen über dessen Ehepolitik, zum anderen über erste Eingriffe des Königs in kirchliche Belange. Heinrich VIII. war misstrauisch geworden, was die Treue seines ehemaligen Lordkanzlers ihm gegenüber anbetraf. So forderte er den Eid auch von ihm. Doch Morus weigerte sich...
Eigentlich war Thomas Morus viele Jahre lang einer der engsten Vertrauten des Königs gewesen. Als Knabe hatte er die Lateinschule besucht und als Page im Haushalt von Lordkanzler John Morton, Erzbischof von Canterbury, erste Einblicke in die Welt des Adels bekommen. Weil er sich stärker für Religion interessierte und über ein Leben im Dienst der Kirche nachdachte, lebte er im Jahr 1500 für einige Zeit in einem Kloster der Kartäuser. Den Gedanken, Priester zu werden, verwarf er schließlich und studierte stattdessen Rechtswissenschaften in Oxford und London. Dort lernte er den niederländischen Gelehrten und Humanisten Erasmus von Rotterdam kennen, der ihn 1518 zu seinem ersten größeren Werk „280 Epigramme” inspirierte. Auch der bekannte Hofmaler Hans Holbein der Jüngere sollte Jahre später oft bei ihm zu Gast sein und die Familie des Aufsteigers Morus mit seinen Kindern und seiner zweiten Frau Alice Middleton in einem Kupferstich festhalten. Denn Morus legte nach Abschluss seiner Rechtsschule eine steile Beamtenkarriere hin: 1517 Mitglied des Kronrates, 1518 Sekretär des Königs, 1521 wurde er zum Ritter geschlagen und zum Unterschatzmeister ernannt, 1522 wurde er zum Sprecher des Unterhauses gegenüber dem König ernannt. 1529 schließlich stieg er als Nachfolger des Kardinals Wolsey ins höchste Amt des englischen Staates auf: in das Amt des Lordkanzlers, das er jedoch nur drei Jahre ausüben sollte.
Am Anfang seiner Laufbahn war Thomas Morus ja auch durchaus dafür gewesen, dass der König mehr Einfluss auf kirchliche Belange in England haben sollte. Als sich in den 1520er Jahren die Papst- und Kirchenkritik des deutschen Reformators Martin Luther in Europa und auch im Inselreich verbreitete, startete er in Heinrichs Auftrag eine großangelegte Gegenkampagne, die dem König und allen seinen Nachfolgern den päpstlichen Ehrentitel „Verteidiger des Glaubens” einbringen sollte.
Morus glaubte, dass der Protestantismus gegen Gottes Willen und gefährlich für die Gesellschaft sei. Andererseits hatte Morus durchaus erkannt, dass Veränderungen in Kirche und Staat dringend nötig waren. Diese Gedanken hatte er bereits 1516 in seinem literarischen Hauptwerk „De optimo rei publicae statu deque nova insula Utopia” – bekannter unter der Kurzbezeichnung „Utopia“ – dargelegt. Das Wort Utopie hat darin seinen Ursprung. Es setzt sich aus den altgriechischen Begriffen ou „nicht“ und tópos „Ort“ zusammen – bedeutet also soviel wie „Nicht-Ort“. Morus beschrieb darin den Idealzustand einer Gesellschaft: Alle Menschen sind gleich und es gibt weder Krieg noch Armut. Er kritisierte in seinem Werk aber auch die Zustände im realen Staat, die Raffgier und Skrupellosigkeit der Landlords und das Elend der vertriebenen Bauern. Er verurteilte die Geldwirtschaft, die die bäuerliche Selbstversorgung in weiten Teilen Englands verdrängt hatte, als Ursache der Obdachlosigkeit und der Kriminalität.
Damit war er seiner Zeit weit voraus. Aber religiöse Toleranz? Das war gegen seine Überzeugung. Vermeintliche Häretiker – also abtrünnige Katholiken − ließ er landesweit verfolgen und von Inquisitionsgerichten aburteilen. Dann wurde er selbst Opfer. Denn die „Sache des Königs“ – die Abspaltung der Anglikanischen Kirche von der römisch-katholischen Kirche – konnte er nicht unterstützen, ohne seine eigene Überzeugung zu verraten. Ebenso nicht die Annullierung von Heinrichs bestehender Ehe mit Katharina von Aragon zugunsten seiner Geliebten Anne Boleyn. Deshalb legte er sein Amt nieder und zog sich ins Private zurück.
Möglicherweise wäre er dort unbehelligt geblieben und hätte im Kreise seiner Familie weiter seine philosophischen Bücher schreiben können. Aber dann erhielt er eine Einladung zur Krönung der neuen Königin – und ignorierte sie. Damit war bei König Heinrich das Maß voll. Denn eine Einladung von ihm war ein Befehl, und mit dessen Verweigerung machte Morus nun auch öffentlich deutlich, dass er Lady Anne nicht als Heinrichs rechtmäßige Gemahlin anerkannte.
Das nahm der König persönlich.
Im April 1534 wurde Thomas Morus vor die königliche Eidkommission zitiert. Er sollte – wie so viele andere – den sogenannten Sukzessionseid auf die neue Erbfolgeregelung leisten, die Heinrich vor seiner neuen Eheschließung durchgesetzt hatte. Mit diesem Act of Succession hatte der König seine Tochter aus der nun annullierten ersten Ehe von der Thronfolge ausgeschlossen. Erbberechtigt sollten nur noch die Nachkommen aus der neuen Ehe mit Anne Boleyn sein. Und weil diese Ehe ohne den Segen des Papstes geschlossen worden war, ließ Heinrich das neue Erbfolgegesetz gleich mit einem Passus versehen, der die Einmischung des Papstes und fremder Mächte in die englische Erbfolge verbot.
Für papsttreue Katholiken wie Thomas Morus kam der Act of Succession damit einem Angriff auf den Heiligen Vater gleich. Also verweigerte er den Schwur. Daraufhin wurde er sofort in Haft genommen – zunächst in milde Klosterhaft, damit er seinen Entschluss noch einmal überdenken möge. Dann brachte man ihn in den Tower of London, das königliche Gefängnis. Und Thomas Cromwell − inzwischen zum persönlichen Sekretär des Königs aufgestiegen − zimmerte das formaljuristische Gerüst für den angestrebten Hochverratsprozess gegen Morus. Denn es sollte ja zumindest nach außen hin alles nach Recht und Gesetz zugehen − genauer gesagt nach den neuen Gesetzen, die nun schleunigst durch das Parlament gebracht wurden.
Cromwell änderte die Strategie: Nun sollte Morus entweder den Suprematseid auf die Oberhoheit des Königs über die Anglikanische Kirche schwören – oder er sollte irgendetwas sagen, was sich als üble Nachrede auslegen ließ. Das Urteil stand faktisch schon fest, als Thomas Morus am 1. Juli 1535 aus seiner Gefängniszelle vor die Richter geführt wurde. Seine schriftlich überlieferten Verteidigungsreden und Briefe zeichnen ein anschauliches Bild davon, wie der Gerichtshof unter Vorsitz des neuen Lordkanzlers Audley vorging, um dem Rachewunsch des Königs zu entsprechen. Und Thomas Morus war nicht das einzige Opfer der Hochverratsprozesse ab Mitte 1535: In einer ganzen Serie von Prozessen wurden insgesamt 40 Mönche aus England und Wales zum Tod verurteilt, weil sie den Suprematseid verweigerten. Hochverräter wurden damals noch auf jene unvorstellbar grausame Weise hingerichtet, die seit den mittelalterlichen Kriegen gegen Schottland gängige Praxis im Inselreich war: Der Verurteilte wurde am Halse aufgehängt, noch lebend vom Galgen geschnitten und ihm die Eingeweide herausgerissen; anschließend wurde sein Körper gevierteilt und die Teile zur Abschreckung an die Stadttore Londons gehängt. Auch Thomas Morus wurde zu dieser Todesart verurteilt, dann aber dazu „begnadigt“, auf dem Tower Hill, der vornehmsten Hinrichtungsstätte im Königreich, durch das Beil des Scharfrichters zu sterben.
Ein weiteres prominentes Opfer dieser Hochverratsprozesse war John Fisher, Bischof von Rochester, Kardinal der Röm.-Katholischen Kirche und Erzieher des jungen Prinzen, der nun als Heinrich VIII. auf dem englischen Thron saß. Als Hofkaplan und Beichtvater erinnerte Fisher den König an die katholische Lehre vom Sakrament der Ehe, als dieser von seiner ersten Gemahlin Katharina von Aragon geschieden werden wollte. Fisher verweigerte ebenfalls den Suprematseid und wurde daraufhin als Hochverräter verurteilt. Am 22. Juni 1535, wenige Tage vor Thomas Morus, wurde er hingerichtet.
Beide sind heute Märtyrer und Heilige sowohl der Anglikanischen als auch der Römisch-Katholischen Kirche. Gedenktag ihrer Heiligsprechung in der katholischen Kirche ist der 22. Juni; die Church of England gedenkt Morus’ am 6. Juli, dem Tag seiner Hinrichtung. Papst Johannes Paul II. ernannte ihn im Oktober 2000 zum Patron der Regierenden und Politiker. Außerdem ist er der Patron der Katholischen Jungen Gemeinde (KJG).
Zusammenfassung
Eines der prominentesten Opfer Heinrichs VIII. war Thomas Morus – ein englischer Philosoph und Humanist des 16. Jahrhunderts. Er verfasste zahlreiche philosophische Schriften, darunter sein Hauptwerk „Utopia“. Auf das Buch geht der Begriff Utopie zurück.
Das Gericht verurteilte Morus wegen Hochverrats zum Tode, weil er sich weigerte, mit dem sogenannten Suprematseid den König als Oberhaupt der Kirche von England anzuerkennen.
Thomas Morus missbilligte die Ehepolitik Heinrichs VIII. und zeigte dies öffentlich, indem er nicht zur Krönung der neuen Königsgemahlin erschien. Denn um diese heiraten zu können, hatte Heinrich seine erste, mit dem Segen des Papstes geschlossene Ehe, für nichtig erklären lassen.
Seine Verteidigungsreden und Briefe sind erhalten geblieben und liefern ein anschauliches Bild der vom König instrumentalisierten Justiz unter Heinrich VIII.
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Richtige Antworten:
1. C) Englischer Humanist und Philosoph
2. A) Lordkanzler
3. B) Er missbilligte dessen Ehepolitik
4. D) Hochverrat
5. C) Utopia