Mit dem Umzug in das südfranzösische Städtchen Arles änderte sich nicht nur Vincent van Goghs gesamtes Leben, sondern auch seine Art zu malen. In dieser Story erfährst, warum van Gogh plötzlich zu hellen und heiteren Farben griff und warum sich der scheue Künstler für sein heute so berühmtes Gemälde „Caféterrasse am Abend“ ausnahmsweise unter Menschen wagte.
Es ist ein lauer Sommerabend in Südfrankreich. Ein wunderbar weiter Sternenhimmel funkelt über den Dächern der Stadt. Die Fenster und Fensterläden an den Häusern sind weit geöffnet und lassen die Geräusche und Gerüche von draußen herein. Noch sind auf der überdachten Terrasse des Cafés Stühle frei. Doch gleich wird sich die Terrasse füllen, Menschen werden zusammenkommen, werden lachen, Wein trinken und plaudern, vielleicht sogar flirten. Die Luft prickelt, es riecht nach Geselligkeit, und eine große Laterne taucht das Café in leuchtend gelbes Licht. Passanten überqueren die Straße, und während manche in das Licht des Cafés treten, verschwinden andere in das Dunkel der Nacht. Eine Kutsche nähert sich, und das Klappern der Hufe auf dem Kopfsteinpflaster hallt friedlich durch die Gassen.
Alles könnte so idyllisch sein, wenn … ja, wenn da nicht dieser Verrückte säße. Mitten auf der Straße. Einige Gäste des Cafés blicken ungläubig in seine Richtung. Es ist schwer, ihn zu ignorieren. Und was ist denn das? Leuchtet da etwa eine Kerze auf seinem Kopf? Der wird hat doch nicht etwa … oh doch, er hat. Auf Vincent van Goghs Hut klebt tatsächlich eine Kerze, deren Wachs langsam auf die Krempe tropft. Aber nur so kann er schließlich genug sehen, um das Bild, das sich ihm bietet, zu malen, um diesen flüchtigen Moment festzuhalten – für sich und die Ewigkeit...
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Jetzt runterladen!Während seiner Zeit in Arles, einer französischen Gemeinde in der Provence, ging Vincent van Gogh nur selten unter Menschen. Stattdessen zog es ihn hinaus in die Natur. Er durchstreifte die weiten Felder, wanderte entlang von Wäldern und Flüssen. In dieser Zeit malte er zum Beispiel seine Bilderserie „Sonnenblumen” oder die „Sternennacht über der Rhône”, dessen Sternenhimmel später in einigen seiner berühmtesten Gemälde sozusagen als Zitat oder eben auch als bestimmendes Element auftauchen sollte. Ganz selten nur machte er sich auf in die engen Gassen des altertümlichen Städtchens. So wurde er in den Augen seiner Mitmenschen allmählich zu einem kauzigen Außenseiter. „Der rothaarige Verrückte“ nannten sie ihn inzwischen hinter vorgehaltener Hand. Im Sommer 1888 aber wagte sich der niederländische Maler doch in die Stadt hinein und stellte seine Staffelei sogar mitten im Zentrum auf: für sein Gemälde „Caféterrasse am Abend”. Sollten die Menschen und Kutschen doch einen Bogen um ihn machen. Schon zu diesem Zeitpunkt faszinierte ihn nämlich der nächtliche Kontrast zwischen Hell und Dunkel. Zudem begeisterte ihn der Gegensatz zwischen dem natürlichen Leuchten der Sterne und dem künstlichen Leuchten der Gaslampen am Café – ein Licht war sanft, das andere unnatürlich schrill.
Das Ölgemälde sieht aus, als wäre es spontan entstanden. Die Pinselstriche sind dick und zügig aufgetragen, die Energie des Malers ist regelrecht greifbar. Schnell und wild hat er gemalt. Das Kopfsteinpflaster wirkt wie kleine Wellen, die über die Straße schwappen, und die Äste des Baums auf der rechten Seite bestehen nur aus energischen Strichen. In diesem Werk lässt sich bereits erkennen, wie van Gogh die dargestellten Motive zu vereinfachen begann und starke Farbkontraste (Komplementärfarben) einsetzte, um die hell erleuchtete Caféterrasse und den Nachthimmel darüber darzustellen. Aber obwohl Vincent van Gogh tatsächlich direkt vor dem Motiv malte und mit seiner Staffelei in der Nacht vor dem Café in Arles saß, bereitete er seine Gemälde doch immer sorgfältig vor. In seiner frühen Schaffensphase oft in Zeichnungen und Skizzen, in Arles vermehrt gedanklich. In seinem Kopf nahmen die Bilder so bereits erste Formen an, doch entstanden sie letztlich wohl eher aus dem Bauch heraus. Das Gefühl überwog bei seiner Art der Malerei. Denn für van Gogh war Kunst immer auch ein Mittel, um seine innersten Empfindungen zu verarbeiten.
Dass Vincent van Gogh beim nächtlichen Malen mit Kerzen auf der Hutkrempe vor seiner Staffelei saß, ist übrigens eine ebenso vielzitierte wie unbewiesene Geschichte. Das Café indessen steht heute noch am Place du Forum in Arles. In den 1990er Jahren baute man es so um, dass es dem Gebäude auf dem Kunstwerk nun voll entspricht. In strahlendem Gelb gestrichen, leuchtet es heute Tag und Nacht und lockt Kunstfreunde aus aller Welt. In Erinnerung an den Maler und sein Meisterwerk heißt es nun sogar „Le Café Van Gogh“.
Beim Blick auf die abendliche Szenerie, die Vincent van Gogh in seinem Gemälde Caféterrasse am Abend festgehalten hat, fällt sofort auf, dass seine Farbpalette eigentlich nur aus zwei Komplementärfarben bestand: Blau und Gelb. Mal heller, mal dunkler, mal rein und leuchtend, dann zu einem dunklen Grün vermischt. Eigentlich sind die Farben wie Tag und Nacht, gegensätzlicher geht es kaum. Dennoch ergänzen sie einander perfekt und verbinden sich in diesem Bild trotz ihrer starken Kontraste zu einem harmonischen Ganzen. In diesem Farbgebrauch zeigte sich die künstlerische Handschrift Vincent van Goghs, die ihn so einzigartig machte.
Das aber war nicht immer so. Anfangs hatte Vincent van Gogh in dunklen, erdigen Tönen gemalt. Diese waren ideal, um das harte Leben der Bauern darzustellen, das ihn zu Beginn seines künstlerischen Schaffens so fasziniert hatte. Als er dann aber zu seinem Bruder Theo nach Paris zog, lernte er die Impressionisten und ihre Art der Malerei kennen. Der Impressionismus entstand in Frankreich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seine Vertreter hielten flüchtige Momente, Impressionen – also Eindrücke – in stimmungsvollen Farben fest. Durch den Einfluss der Impressionisten begann sich auch van Goghs Farbpalette aufzuhellen, und die düsteren wichen helleren Tönen. Zudem begann sich van Gogh für japanische Holzschnitte und asiatische Kunst zu interessieren. Gerade die großen, flachen Farbflächen, die die Holzschnitte auszeichnen, finden sich vermehrt auch in den Gemälden des Künstlers, der 1855 in Groot Zundert in den Niederlanden geboren wurde.
Aber erst mit seinem Umzug ins südfranzösische Arles im Jahr 1888 begann van Gogh, in dem Stil zu malen, für den er heute bekannt ist – dieser Stil machte ihn zum berühmtesten Vertreter des Post-Impressionismus. Erst im sonnigen Süden Frankreichs malte er in leuchtenden Farben und nutzte starke Kontraste, um Stimmungen auszudrücken. In einem Brief beschrieb er seinen neuen Stil mit folgenden Worten: „Ab heute ist die Palette entschieden farbensatt. Himmelblau, orangefarben, rosa, zinnoberrot, hellgelb, klares Grün, klares Weinrot, Violett. Erst wenn man alle Farben intensiv verwendet, kommt man wieder zur Ruhe und Harmonie.“ Ihm ging es jetzt mehr um Farbe, um Formen und Linien – nicht mehr um eine möglichst realistische Darstellung der Natur oder der Gegenstände, die er malte. Stattdessen zählte für ihn die pure Ausdruckskraft der Farbe an sich. Und besonders gut ist das in seinem Ölgemälde Caféterrasse am Abend zu erkennen, das sich im Kröller-Müller Museum im niederländischen Otterlo befindet.
Doch nicht nur das. Der Sternenhimmel, den van Gogh auf diesem Gemälde malte, taucht auch in vielen anderen seiner Ölbilder auf. Er wurde zu einem bekannten Motiv des niederländischen Malers. Der weite Nachthimmel und das funkelnde Sternenmeer waren in Arles – gerade im Vergleich zur Großstadt Paris – deutlich zu sehen. Vielleicht sah Vincent van Gogh, der einst hatte Pfarrer werden wollen, in dem fernen Himmel die Unendlichkeit und das Göttliche. Vielleicht faszinierten ihn auch die Ruhe und die Hoffnung, die ein funkelnder Sternenhimmel ausstrahlen kann.
In manchen Übersetzungen wird das Werk auch „Caféterrasse bei Nacht” genannt. Und manchmal wird sein Titel mit dem eines anderen Gemäldes von van Gogh verwechselt: „Le café nuit”, übersetzt: „Das Nachtcafé”. Es entstand ebenfalls im September 1888, zeigt aber den von einem Billardtisch beherrschten Gastraum eines anderen Lokals in Arles, das van Gogh wohl häufig besuchte. In einem Brief an seinen Bruder Theo nannte er dieses Werk „eines der hässlichsten Bilder, die ich je gemalt habe". Tatsächlich zeigt es einen bedrückend wirkenden Innenraum in trostlosen Farben mit müden Gestalten an kleinen runden Tischen und einem lustlos herumstehenden Gastwirt. Eine halbverhüllte Tür im Hintergrund wirkt wie der einzige Fluchtpunkt aus der trübseligen Szene, weil alle Linien der Bildperspektive auf sie zu laufen. Kein Bild, das auf den ersten Blick gefällt, auf den zweiten aber fasziniert. Denn es zeigt deutlich, wie van Gogh die Farben einsetzte, um beim Betrachter Emotionen zu erzeugen: Leichtigkeit und Wärme in seiner „Caféterrasse bei Nacht”, Trübsal und Verlorenheit in seinem Nachtcafé. Die Kunstwissenschaft nennt dies „Suggestivfarben”. Sie sollten für den Stil des Expressionismus bestimmend werden, der sich im 20. Jahrhundert durchsetzte.
Seinem Bruder Theo beschrieb van Gogh sein „Nachtcafé” so: „Ich habe versucht, die furchtbaren Qualen der Menschheit mit Rot und Grün auszudrücken. Der Raum ist blutrot und dunkelgelb mit einem grünen Billardtisch in der Mitte; es gibt vier zitronengelbe Lampen mit einem Schimmer von orange und grün. Überall prallen die fremdartigsten Rot- und Grüntöne aufeinander, in den Figuren der kleinen schlafenden Randalierer, im leeren trostlosen Raum, in violett und blau. Das Blutrot und das Gelbgrün des Billardtisches zum Beispiel stehen im Kontrast zum zarten Grün der Theke, auf dem sich ein rosafarbener Blumenstrauß befindet. Die weißen Kleider des Wirts, wachsam in einer Ecke dieses Ofens, werden zitronengelb oder hell leuchtend grün."
Sein Umgang mit Farben beeindruckt bis heute. Kaum zu glauben, dass seine ersten Werke so ganz anders aussahen: nicht kräftig bis grell, sondern bodenständig und realistisch. Zum Beispiel ein frühes Gemälde von Vincent van Gogh, das er zwar selbst für eines seiner besten hielt, das beim zeitgenössischen Publikum aber überhaupt nicht ankam. Es heißt: Die Kartoffelesser.
Zusammenfassung
Vincent van Gogh ging in Arles nur wenig unter Menschen und verbrachte seine Zeit lieber in der weiten Natur. Nur ausnahmsweise zog es ihn eines bestimmten Motivs wegen in die Stadt.
Hier malte er 1888 seine „Caféterrasse am Abend“ (frz.: Terrasse du café le soir_,_ engl.: Café Terrace at Night). Das gemalte Café gibt es noch heute. Es wurde in den Neunzigerjahren so umgebaut, dass es dem Gebäude auf dem Kunstwerk gleicht, und trägt den Namen „Le Café Van Gogh“
Erst ein Umzug ins südfranzösische Arles brachte die Farbigkeit in seine Bilder, für die er heute so bekannt ist.
Es ging ihm nicht mehr um eine möglichst realistische Darstellung der Natur oder der Gegenstände, die er malte, sondern um die Farbe, um die Formen und Linien selbst.
Das Gemälde „Caféterrasse am Abend“ ist dem Post-Impressionismus (ca. 1880–1905) zuzuordnen.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. B) Vincent van Gogh
2. D) Post-Impressionismus
3. A) „Le Café Van Gogh“
4. B) Ein funkelnder Sternenhimmel
5. C) Ölbilder bzw. Leinwandbilder