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Der Fall von Saigon

Ende eines Krieges
South Vietnamese refugees walk across a U.S. Navy vessel. Operation Frequent Wind, the final operation in Saigon, began April 29, 1975. During a nearly constant barrage of explosions, the Marines loaded American and Vietnamese civilians, who feared for their lives, onto helicopters that brought them to waiting aircraft carriers. The Navy vessels brought them to the Philippines and eventually to Camp Pendleton, Calif.
Der Fall von Saigon
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Inhalte

Intro

Frühjahr 1975: Die nordvietnamesische Volksarmee nimmt Südvietnams Hauptstadt Saigon ein – und rund um die Botschaft der USA spielen sich chaotische Szenen ab. Es sind Bilder, wie sie auch im August 2021 aus der afghanischen Hauptstadt Kabul nach deren Einnahme durch die Taliban um die Welt gehen sollten. Nach dieser Story weißt du, wie es zum Fall Saigons und letztlich zum Ende des Vietnamkriegs kam – und was dieser mit dem Krieg in Afghanistan gemeinsam hat.

Kapitel 1: Sturm auf die rettende Botschaft

Verzweifelt kämpft sich der Amerikaner durch die schreienden Menschenmassen zum Botschaftsgelände durch, während in der Ferne bereits die Schüsse der feindlichen Panzer zu vernehmen sind. Er muss weg von hier, raus aus Saigon! Schritt für Schritt schiebt er sich durch den Pulk aus lärmenden Vietnamesen hindurch, die mittlerweile in erschreckender Anzahl das abgeschottete Areal der US-Botschaft belagern: Rette sich, wer kann! Wer auch immer in den zurückliegenden Jahren mit den Amerikanern zusammengearbeitet hat, fürchtet nun die Rache der Kommunisten. Immer dichter drängt die Menge gegen den Zaun. Dutzende Amerikaner versuchen bereits, auf das rettende Dach des Botschaftsgebäudes zu gelangen, auf dem der Helikopter in die Freiheit auf sie wartet. Nur noch ein paar Meter, dann wird auch er es dorthin geschafft haben. In wenigen Minuten wird er diesem chaotischen, gefährlichen Land endlich den Rücken kehren! Mit aller Gewalt kämpft sich der US-Beamte weiter in Richtung Botschaftseingang durch. Mit der linken Hand gelingt es ihm endlich, die erste Eisenstange des Zauns zu ergreifen. Er zieht sich mit allerletzter Kraft näher an das Tor heran – und wird mit einem Male wieder nach hinten gezerrt und zu Boden gerissen. Schützend bedeckt er seinen Kopf mit beiden Händen, doch keiner aus der Menschenmasse, die jetzt über ihn hinwegtrampelt, nimmt Notiz von seinem Schicksal. Sie alle wollen nur noch eines: endlich raus aus Vietnam!

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Kapitel 2: Das Ende

Der längste Krieg des 20. Jahrhunderts war zu Ende – und der Plan der US-Regierung, dem sich ausbreitenden Kommunismus in Südostasien Einhalt zu gebieten, war gründlich fehlgeschlagen. Im Frühjahr 1975 holte die nordvietnamesische Volksarmee zum endgültigen Schlag gegen Südvietnams Hauptstadt Saigon aus. Und der „ehrenvolle Frieden“, den US-Präsident Richard Nixon seinen Wählern versprochen hatte, sollte mit einer demütigenden Not-Evakuierung der US-Botschaft beginnen. Am 29. und 30. April 1975 schoss der niederländische Pressefotograf Hubert van Es eine Reihe von Aufnahmen, die die Einnahme Saigons durch nordvietnamesische Truppen und den verzweifelten Ansturm zahlloser Menschen auf diverse US-Gebäude in Saigon dokumentierten. Sie zeigen, wie Menschen auf dem Dach des CIA-Quartiers in einen Helikopter der Air America klettern – viele Jahre lang wurde dieses Foto infolge einer Verwechslung irrtümlich dem Botschaftsgebäude der USA zugeordnet – oder einen US-Marine, der drohend mit seiner Waffe vor einer vietnamesischen Mutter mit ihrem Kind steht.

Natürlich gelang es nicht, alle vietnamesischen Flüchtlinge auszufliegen – so wie es sich auf bedrückende Weise im August 2021 in der afghanischen Hauptstadt Kabul wiederholen sollte. Wer mit den Amerikanern zusammengearbeitet hatte, dessen Leben war bedroht. Unzählige Südvietnamesen wurden nach dem Sieg der nordvietnamesischen Armee in Umerziehungslager gesperrt. Auch aus anderen Städten und ländlichen Gebieten setzte eine Massenflucht ein. In Booten versuchten viele Flüchtende, auf dem Seeweg zu entkommen. Sie erlangten als Boat People traurige Berühmtheit.

Kapitel 3: Vietnamisierung

Bereits sechs Jahre zuvor hatte es erste Hoffnungen auf ein Ende des zermürbenden Kriegs in Vietnam gegeben. Richard Nixon, der neue US-Präsident, wollte das sinnlose Morden in Südostasien endlich beenden. Doch auch ihm war bewusst, dass man nicht einfach sämtliche US-Soldaten über Nacht aus dem fernöstlichen Kriegsgebiet abziehen konnte. Denn zum einen hatten sich die USA dazu verpflichtet, der Regierung in Südvietnam gegen den sogenannten Viet Cong und die reguläre Armee des kommunistischen Nordvietnam beizustehen, und zum anderen hätte ein plötzlicher Abzug der US-Truppen nicht nur ihr allgemeines Ansehen, sondern auch noch eine empfindliche Schlappe im Kalten Krieg gegen den sozialistischen Machtblock der Sowjetunion bedeutet. Also setzte Nixon auf eine völlig andere Strategie: Die US-Soldaten sollten nach und nach den Süden des Landes verlassen, während immer mehr Südvietnamesen deren Plätze einnehmen sollten. Diese Strategie, mit der Nixon einen „ehrenvollen Frieden“ anstrebte, nannte man „Vietnamisierung“. Gleichzeitig begann Nixon, mit beiden Landesteilen über einen baldigen Waffenstillstand zu verhandeln. Lange Zeit verliefen die diplomatischen Gespräche völlig ergebnislos. Erst Anfang 1973 unterschrieben alle drei Parteien in Paris ein Abkommen, das im Wesentlichen die Forderungen Nordvietnams erfüllte und den Abzug der amerikanischen Truppen vorsah. Ende März 1973 verließ der letzte US-Soldat Vietnam. War dies nun also tatsächlich das Ende dieses grausamen Krieges? Noch nicht ganz. Denn Friedensverträge hin oder her: Die Nordvietnamesen hatten noch immer ihr Ziel vor Augen: die Wiedervereinigung des Landes unter ihrer kommunistischen Regierung. Und da die US-Truppen nun endgültig aus Vietnam verschwunden waren, bot sich in ihren Augen genau jetzt die beste Gelegenheit dazu...

Kapitel 4: Vietnamkrieg, letzter Akt

Das Friedensabkommen zwischen den USA und den beiden vietnamesischen Landesregierungen stand von Anfang an nur auf dem Papier. Offiziell schienen die Waffen zu schweigen, tatsächlich aber kam es in den folgenden Jahren auch weiterhin zu militärischen Gefechten zwischen Nord- und Südvietnam. Und Nixon ließ die US-Luftwaffe weiterhin Angriffe auf Grenzgebiete Kambodschas fliegen, die von Nordvietnam kontrolliert wurden. Erst der Kongress stoppte diese Angriffe, indem er dem Pentagon – dem amerikanischen Verteidigungsministerium – die Finanzmittel für die Angriffe strich. Und als Südvietnam nach dem Abzug der US-Truppen in eine verheerende Wirtschaftskrise schlitterte, sah Nordvietnam den richtigen Zeitpunkt für das letzte große Gefecht gekommen: die endgültige Einnahme von Saigon – Sitz der westlich geprägten Machthaber und Standort der US-Botschaft mit den letzten verbliebenen Amerikanern und einer ganzen Armee ehemaliger einheimischer Beschäftigter, die aus der Sicht der Kommunisten für den Feind gearbeitet hatten. Ihre schlimmste Befürchtung wurde wahr: The Fall of Saigon.

Im Grunde hatten der neue US-Präsident Gerald Ford und seine Behörden diesen Fall einkalkuliert und entsprechende Vorbereitungen getroffen. Auf Militärbasen unter anderem in Thailand warteten Flugzeugträger und weitere Schiffe der US-Navy sowie 150 Marineflugzeuge und 6000 US-Marines auf ihren Einsatz, der mit der fortschreitenden Offensive Nordvietnams erkennbar näher rückte. Aber eine frühzeitige Evakuierung war nicht im Sinne des US-Botschafters in Saigon, Graham Martin; und auch Henry Kissinger, der Sonderbeauftragte und Sicherheitsberater des Präsidenten, riet davon ab. Zu groß war aus ihrer Sicht die Gefahr, dass es in der Zivilbevölkerung zu einer Panik kommen würde. Immerhin wurden in den letzten beiden Aprilwochen des Jahres 1975 rund 40.000 Amerikaner und vietnamesische Ortskräfte sowie rund 2000 Waisenkinder vom Luftwaffenstützpunkt Tan Son Nhut Air Base nahe Saigon ausgeflogen. Am Morgen des 28. April aber geriet die Air Base unter Beschuss und musste geschlossen werden. Und in der von panischen Menschenmassen umlagerten US-Botschaft warteten noch immer die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf ihre Rettung...

Kapitel 5: Die Operation Frequent Wind

Um auch sie herauszuholen, lief nun die Operation Frequent Wind an. Das vereinbarte Startsignal war ein Weihnachtslied: „White Christmas”. Am frühen Morgen des 29. April wurde es von etlichen großen Radiostationen im Land gespielt. In den folgenden Stunden schafften die US-Hubschrauber 72 Evakuierungsflüge vom Botschaftsgebäude und 122 vom Gelände des US-Militärattachés. Alle waren überladen, weil die in Panik geratenen Südvietnamesen alle Sperren überrannten und die Hubschrauber regelrecht stürmten. Tausende weitere Flüchtlinge hatten es in Transportmaschinen und Jagdbombern über die Grenze nach Thailand geschafft und warteten auf dem dortigen Utapo-Luftwaffenstützpunkt darauf, ausgeflogen zu werden. Denn in Thailand konnten sie nicht bleiben, die Regierung hatte die Aufnahme abgelehnt und eine Frist von 30 Tagen gesetzt, innerhalb derer die Menschen das Land zu verlassen hätten. Zahlreiche südvietnamesische Hubschrauberbesatzungen flogen die US-Flugzeugträger vor der Küste an; auch zwei leichten Aufklärungsflugzeugen gelang die Landung auf diesem beengten Raum. Um die Landeflächen rasch für die Nächsten frei zu bekommen, wurden viele der Hubschrauber einfach über Bord ins Meer geschoben. Viele weitere Flüchtende versuchten, auf eigene Faust übers Meer den Kommunisten zu entkommen. Viele dieser Boat People ertranken auf offener See, wenn ihre überladenen und seeuntüchtigen Boote kenterten und kein rettendes Schiff in der Nähe war. Zahllose weitere Südvietnamesen wurden nach dem Sieg der nordvietnamesischen Armee in Lager gesperrt und einer brutalen „Umerziehung” unterworfen.

Kapitel 6: Was am Ende übrigblieb

Am 30. April 1975 war Saigon von der nordvietnamesischen Armee eingenommen. Kurz vor 12 Uhr mittags hissten Soldaten die Flagge Nordvietnams auf dem Präsidentenpalast, dem wichtigsten Gebäude der Stadt, die künftig den Namen Ho Chi Minh-Stadt tragen sollte. Mit diesem symbolischen Eroberungsakt hörte die Republik Südvietnam auf zu existieren. Der längste Krieg des 20. Jahrhunderts – und bis heute einer der brutalsten – war zu Ende. Wie viele Vietnamesen er das Leben kostete, ist unbekannt, Schätzungen variieren zwischen zwei und fünf Millionen. Die USA und weitere Staaten verloren 63.500 Soldaten. Bis heute leiden Menschen in Vietnam an den Spätfolgen des sogenannten „Entlaubungsmittels“ Agent Orange.

In den USA hatte dieser zweite Stellvertreterkrieg im Kalten Krieg der Supermächte (der erste war der Koreakrieg in den 1950er-Jahren gewesen) tiefgreifende politische Folgen, die in einem Amtsenthebungsverfahren gegen Nixon gipfelten. Und der Kongress beschloss, jede künftige US-Militärintervention auf zunächst 60 Tage zu beschränken. Für eine Verlängerung muss der Präsident die Zustimmung des Parlaments einholen.

Wie tief sich dieser blutige Konflikt ins Gedächtnis der USA eingebrannt hat, ist nicht zuletzt an den zahllosen Filmen, Büchern und Musikstücken zu sehen, die den Krieg zum Inhalt haben. Dazu gehören Hollywood-Blockbuster wie „Platoon“, „Apocalypse Now“ oder „Rambo II“, aber auch Bühnenproduktionen wie das weltberühmte Musical „Hair“, das den Konflikt zwischen den US-Soldaten und der Protestbewegung der Hippies in Szene setzt. Und mit dem Elektropop-Song „Nineteen“ schrieb der britische Musiker Paul Hardcastle einen der wohl verstörendsten Titel der jüngeren Musik – nicht nur aufgrund des Textes, sondern vor allem wegen seines Titels, der aus nichts anderem als der Zahl „19“ besteht. Denn das war das Durchschnittsalter der amerikanischen Soldaten im Vietnamkrieg…

Zusammenfassung

  • Nachdem Richard Nixon Anfang 1969 Präsident der USA geworden war, begann er, die US-Soldaten nach und nach aus Vietnam abzuziehen. Ihren Platz sollten Truppen der südvietnamesischen Armee einnehmen. Diese Strategie nannte man Vietnamisierung.

  • Nach langen Verhandlungen kam 1973 ein Waffenstillstandsabkommen zustande. Präsident Nixon ließ jedoch weiterhin Luftangriffe auf Kambodscha fliegen, das von Nordvietnam kontrolliert wurde.

  • Nordvietnam besetzte am 29. und 30. April 1975 die wichtigsten Gebäude Saigons. Südvietnam hatte aufgehört zu existieren. Vietnam ist seitdem ein wiedervereinigtes und sozialistisch geprägtes Land.

  • Der US-Luftwaffe und dem Marine Corps gelang es noch in den letzten Tagen vor und nach dem Fall Saigons, knapp 1400 Amerikaner und rund 5600 Flüchtlinge aus dem Land zu bringen. Zahlreiche Südvietnamesen, die es nicht außer Landes geschafft hatten, wurden von den Nordvietnamesen in Umerziehungslager gesperrt.

  • In den USA hatte der Vietnamkrieg weitreichende politische Folgen. Präsident Nixon trat zurück, um einer Amtsenthebung zuvorzukommen.

  • Der Kongress beschränkte die Befugnisse künftiger US-Präsidenten bei US-Militärinterventionen, die länger als 60 Tage andauern.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Wer wurde nach Lyndon B. Johnson Anfang 1969 Präsident der USA?
    1. A) Gerald Ford
    2. B) Richard Nixon
    3. C) Jimmy Carter 
    4. D) Ronald Reagan
  2. Wie nannte man Anfang der 1970er Jahre im Vietnamkrieg den allmählichen Austausch von US-Soldaten durch Südvietnamesen?
    1. A) Vietnamisierung
    2. B) Egalisierung 
    3. C) Kompensierung
    4. D) Substitution
  3. Welche Großstadt brachten die Nordvietnamesen nach dem Abzug der Amerikaner unter ihre Kontrolle?
    1. A) Hanoi
    2. B) Hue 
    3. C) Saigon 
    4. D) Da Nang
  4. In welchem Jahr endete der Vietnamkrieg mit der Eroberung der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon?
    1. A) 1975
    2. B) 1969
    3. C) 1971
    4. D) 1976
  5. Unter anderem welche politische Folge hatte der Vietnamkrieg in den USA?
    1. A) Atomare Abrüstung
    2. B) Neuwahlen des Parlaments
    3. C) Auflösung des Pentagon
    4. D) Rücktritt des Präsidenten 

Richtige Antworten: 
1. B) Richard Nixon
2. A) Vietnamisierung
3. C) Saigon
4. A) 1975
5. D) Rücktritt des Präsidenten

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