50.000 wütende Krieger, 30.000 heimatlose Familien und ein Königspaar, das eine verzweifelte Flucht quer durch halb Europa antreten muss: Das waren die Konsequenzen der ersten großen Schlacht des Dreißigjährigen Krieges: der Schlacht am Weißen Berg. Am 8. November 1620 kämpften hier die Heere des Habsburger Kaisers und des böhmischen Königs gegeneinander: die Kaiserlichen für den Katholizismus, die Königlichen für den Protestantismus. Ein Gefecht mit grausamen Folgen.
Wie besessen jagt der kleine Tross aus Pferdewagen über das Pflaster der Prager Karlsbrücke hinweg. Immer wieder streifen die Räder der Karren an der Brückenmauer entlang, immer wieder blicken die Königsdiener angstvoll nach hinten, um zu sehen, wie weit ihre Verfolger bereits zu ihnen aufgeholt haben. Und in der Tat: Die ersten feindlichen Reiter sind schon auf der Burgseite der Brücke auszumachen, unverkennbar geschmückt mit den Adlerwappen des Kaisers. Die Kutschen jagen weiter auf die Altstadtseite der böhmischen Hauptstadt zu. Doch niemand scheint in der Hektik zu bemerken, dass die große Kiste auf einem der Wagen bei jedem neuen Ruckeln ein Stück weiter ans Ende der Ladefläche rutscht. Die Hälfte der Brücke ist bereits erreicht, doch die kaiserlichen Reiter kommen in erschreckender Geschwindigkeit näher. Sie haben ihre Musketen angelegt und jagen den Flüchtenden ihre tödlichen Kugeln hinterher. Die Kutscher versuchen das Äußerste aus den Pferden herauszuholen, doch als dann auch noch zwei der Wagen aneinanderstoßen, nimmt das Unheil seinen Lauf: Die Kiste des Königs stürzt von der Ladefläche und schlägt mit splitterndem Krachen auf den Pflastersteinen auf. Es mischt sich mit dem Jubelgeschrei der Verfolger. Nur der König und seine Frau sind vor Schreck erstarrt. Denn in diesem Augenblick ist ihnen klar geworden: Jetzt haben sie nicht nur ihren Titel und ihr Reich Böhmen verloren, sondern auch den wertvollen Königsschatz, die nun weit hinter ihnen auf dem Straßenpflaster liegt.
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Jetzt runterladen!Der König, der aus seinem eigenen Königreich fliehen musste, war kein anderer als Friedrich V. von der Pfalz, den die böhmischen Stände im Spätsommer 1619 als protestantischen Gegenkönig zum abgesetzten katholischen König Ferdinand II. aus dem Hause Habsburg gewählt hatten. Die hektische Flucht aus Prag war eine Folge der ersten großen Schlacht des Dreißigjährigen Krieges: der Schlacht am Weißen Berg. Dass es zum Krieg zwischen Protestanten und Katholiken kommen würde, war bereits im Mai des Vorjahrs klar: nach dem zweiten Prager Fenstersturz, mit dem der böhmische Aufstand begonnen hatte. Überall in den böhmischen Ländern waren Unruhen ausgebrochen, hatten böhmische Adelige die Auswirkungen der Rekatholisierung bekämpft, mit der Ferdinand II. entgegen dem Majestätsbrief des verstorbenen Kaisers Rudolf II. das freie Glaubensbekenntnis im Land verbot. Ferdinand trug inzwischen die Kaiserkrone und hatte die Katholische Liga hinter sich gebracht, das militärische Bündnis der katholischen Standesherren im Heiligen Römischen Reich. Kaiser Ferdinand II. suchte Beistand beim gleichgesinnten Bayern und beim militärisch hochgerüsteten Spanien, wo ebenfalls ein Habsburger auf dem Thron saß.
Auch die protestantischen Stände hofften auf starke Bündnispartner. Schließlich war ihr Gegenkönig der Schwiegersohn des Königs von England, Irland und Schottland, Jakobs I.. Darüber hinaus hofften sie auf den Beistand der befreundeten Länder Dänemark und Schweden, sollte es tatsächlich zu einem ausgedehnteren Krieg kommen. Das große Problem solcher Bündnisse war jedoch stets: Man hatte sich zwar offiziell auf dem Papier zusammengetan, doch kümmerte man sich in der Praxis erst einmal um die eigenen Probleme. Mit anderen Worten: In Dänemark oder Schweden interessierte man sich relativ wenig für ein paar böhmische Protestanten, die irgendwelche Beamte aus dem Fenster geworfen hatten. Aber auch in Böhmen selbst verlor der Gegenkönig Friedrich V. zusehends an Rückhalt, und der englische König wollte nicht unbedingt an der Seite seines Schwiegersohns in die Schlacht ziehen. Kaiser Ferdinand hingegen wollte Böhmen zurückerobern und auch dort die Gegenreformation durchsetzen – mit Zehntausenden Reitern und Fußsoldaten.
Am 8. November 1620 war es schließlich so weit. Diesen Tag hatte Johann T’Serclaes Tilly, der oberste Heerführer der Katholischen Liga und später auch der kaiserlichen Truppen, für den Großangriff auf die böhmische Hauptstadt Prag auserkoren. Eine Entscheidungsschlacht, die am Weißen Berg (Bílá hora) vor den Toren der Stadt ausgetragen werden sollte. Auf dessen Gipfel hatten die böhmischen Verteidiger unter ihrem Feldherrn Christian von Anhalt-Bernburg ihr Lager aufgeschlagen und befanden sich damit in der strategisch besseren Position. Die kaiserlichen Truppen waren zwar zahlenmäßig deutlich in der Übermacht, mussten sich aber erst einmal mit ihren schweren Waffen den Berg hinaufkämpfen. Einer Legende zufolge machte ihnen dabei heiliger Zorn Beine: Ein im Tross mitgereister Karmelitermönch namens Dominicus a Jesu Maria soll den Heerführern ein angeblich von Protestanten geschändetes Bildnis der Anbetung Jesu durch die Hirten vorgehalten haben – ein barbarischer Angriff auf die Heilige Mutter Maria, der buchstäblich nach Vergeltung schrie!
So sollen die tapferen Kaiserlichen wutentbrannt mit dem Schlachtruf „Sancta Maria!“ den Berg hinaufgestürmt sein und das protestantische Heer völlig überrumpelt haben. Tatsächlich zeichnete sich nach einer Stunde blutigen Gemetzels die verheerende Niederlage der Böhmen ab. Einer der Gründe dafür mag auch die eher schwache Motivation der Verteidiger gewesen sein, denn der König von Böhmen war ihnen seit vielen Wochen den Sold schuldig geblieben. Kaiser Ferdinand soll diesen Umstand angeblich ausgenutzt und den Protestanten noch vor der Schlacht Geld versprochen haben, wenn sie sich aus dem Kampfgetümmel heraushalten würden. Binnen zwei Stunden war das böhmische Heer aufgerieben. Der protestantische Theologe und Pädagoge Ámos Komenský – bei uns bekannter unter dem Namen Comenius, beschrieb die Szenerie in bewegenden Worten: „Nun sehe ich, wie sie nicht wenige mit abgehauenen Händen, Füßen, Nasen, durchbohrten Körpern, abgefranster Haut, alle von Blut entstellt, vom Schlachtfeld führen oder tragen, auf die ich aus Leid kaum sehen konnte”.
König Friedrich V. weilte unterdessen auf seiner Burg, um den Gesandten des englischen Königs zu empfangen. Als er erfuhr, dass innerhalb kürzester Zeit bereits Tausende böhmische Soldaten gefallen waren und jede Menge weitere Männer von panischer Todesangst getrieben in Richtung Prag flohen, entschloss sich Friedrich selbst zur Flucht: In aller Eile ließ er seine Habseligkeiten zusammenraffen und auf Kutschen verladen und verließ mit seiner Frau Elisabeth schleunigst seinen Regierungssitz.
Die kaiserlichen Reiter waren dem böhmischen König allerdings dicht auf den Fersen, und im chaotischen Durcheinander der Flucht soll nichts Geringeres als die Gepäckladung mit wichtigen Dokumenten und den Kronjuwelen des Königshauses auf die Pflastersteine gefallen sein. Ein Schatz, den Kaiser Ferdinand sicherlich als willkommene Kriegsentschädigung betrachtet haben dürfte. Friedrich und Elisabeth entkamen ihren Verfolgern mit knapper Not, doch den beiden stand nun ein zermürbender Irrweg durch halb Europa bevor. Erst im protestantischen Teil der Niederlande fanden sie eine neue Zuflucht. Fortan wurde er nur noch der „Winterkönig“ genannt. Denn schließlich hatte die Herrschaft dieses Regenten nur einen einzigen Winter gedauert.
Die Protestanten in den böhmischen Ländern hatten dagegen nicht so viel Glück. Nach der Niederlage am Weißen Berg mussten sich die böhmischen Stände dem Herzog Maximilian von Bayern unterwerfen, dem Stellvertreter des Kaisers. Für die folgenden drei Jahrhunderte hatten Böhmen und Mähren keine politische Stimme mehr in der Habsburgermonarchie. Die Anführer der Aufständischen wurden verhaftet, 27 von ihnen auf dem Altstädter Ring in Prag öffentlich hingerichtet. Kaiser Ferdinand nutzte seinen Sieg für eine gnadenlose Rekatholisierung; wie auch schon in Schlesien wurde der Katholizismus zur einzig erlaubten Religion erklärt. Zehntausende Protestanten verließen das Land und wanderten in deutsche Länder aus. Mit der Verneuerten Landesordnung von 1627 entmachtete der Kaiser außerdem noch die Stände; Böhmen war von nun an ein absolutistisch beherrschtes Land. Deutsch wurde zur Amtssprache, das Tschechische völlig zurückgedrängt – so weit, dass es als Schriftsprache von späteren Generationen erst wieder erweckt werden musste. Tschechische Autor*innen sehen in der böhmischen Niederlage den Beginn einer nationalen Katastrophe, die erst mit der Staatsgründung der Tschechoslowakei im Jahr 1918 als überwunden galt.
Doch es waren wohl nicht zuletzt die grausamen Massaker der Katholiken an der protestantischen Bevölkerung Böhmens, die nun doch noch die europäischen Bündnispartner auf den Plan riefen. Allen voran den protestantischen König von Dänemark, Gustav Adolf. Er stampfte innerhalb kurzer Zeit ein riesiges Heer aus dem Boden. Und auf kaiserlicher Seite begann sein Gegenspieler einen steilen Aufstieg: ein Mann namens Albrecht Wenzel Eusebius von Waldstein, besser bekannt unter dem Namen Wallenstein.
Zusammenfassung
Erstens: Die böhmischen Protestanten erklärten 1618 den katholischen König (und späteren Kaiser) Ferdinand II. für abgesetzt und erhoben im darauffolgenden Jahr den Protestanten Friedrich V. zum Gegenkönig.
Zweitens: Nach ersten Scharmützeln zwischen Katholiken und Protestanten kam es am 8. November 1620 zur ersten großen Schlacht des Dreißigjährigen Krieges. Die kaiserlich-katholischen Truppen gewannen die Schlacht am Weißen Berg in der Nähe von Prag.
Drittens: In der Folge der Schlacht rächten sich die Katholiken grausam an den protestantischen Einwohnern Böhmens, während der Gegenkönig Friedrich V. ins Ausland floh.
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Richtige Antworten:
1. D) Friedrich V.
2. C) Der Zweite Prager Fenstersturz
3. B) Der Weiße Berg
4. B) Die kaiserlich-katholischen Truppen
5. A) In die Niederlande
6. D) Winterkönig