Wir springen ins Jahr 54. Im Römischen Reich herrscht ein gewisser Nero – der mittlerweile fünfte Kaiser Roms. Und dieser Nero war zweifelsohne ein ziemlich abgebrühter Zeitgenosse: Er ließ seine eigene Mutter ermorden und Christen an Hunde verfüttern. Und dann stand plötzlich ganz Rom in Flammen. Hatte dieser Nero etwa seine eigene Stadt angezündet?
Seit Tagen wütet der Brand in der Ewigen Stadt, immer wieder angefacht vom kräftigen Sommerwind. Menschen fliehen aus ihren brennenden Häusern, viele stürzen sich in den Tiber, um zu überleben. Wenn es doch nur regnen würde! Aber es ist Juli, und so sind es bloß die dichten Rauchwolken, die den Himmel über Rom verdunkeln …
Von den 14 Stadtbezirken bleiben nur vier von dem Feuer verschont, der Rest geht im Flammenmeer unter. Immer wieder fragen sich die Römer: Wofür haben die Götter uns bestraft? Da setzt auch schon irgendwer ein Gerücht in die Welt, das sich im Nu verbreitet. Erst hinter vorgehaltener Hand, dann immer lauter: „Der Kaiser wars!” Kaiser Nero persönlich soll den Brand gelegt haben, um die Stadt nach seinen Vorstellungen neu aufbauen zu können. Dabei weilt der Kaiser wie jedes Jahr um diese Zeit in Antium, seiner Sommerresidenz – 50 Kilometer von Rom entfernt. Der Brandstifter kann er also nicht sein. Der Brandstifter kann er also nicht sein. Doch seinen katastrophalen Ruf wird Nero nie wieder loswerden...
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Jetzt runterladen!Nero war seit knapp zehn Jahren an der Macht, als im Jahr 64 nach Christus zwei Drittel der stolzen Stadt Rom bei einem Großbrand vernichtet wurden. Tagelang hatte das Feuer gewütet. Und es waren noch immer nicht alle Flammen gelöscht, da soll bereits das Gerücht kursiert haben, der Kaiser persönlich stecke dahinter. Manch einer behauptete sogar, Nero habe während des Brandes auf dem Balkon gestanden und ein Lied geträllert. Das konnte Nero nicht auf sich sitzen lassen, und so präsentierte er dem Volk schon bald die vermeintlichen Schuldigen: die Anhänger des aufkommenden Christentums. Sie lehnten nämlich nicht nur den Kaiserkult ab, sondern auch die römischen Götter, weshalb ihnen das Volk ohnehin mit Misstrauen begegnete. Indem Nero den Christen die Schuld an dem verheerenden Brand in die Schuhe schob, konnte er also gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen!
Rund 200 Christen fielen der nun folgenden Verhaftungswelle zum Opfer. Ihre Hinrichtungen ließ Nero als öffentliches Spektakel inszenieren: Viele Christen wurden verbrannt, andere gekreuzigt oder, in Tierfelle genäht, wilden Tieren zum Fraß vorgeworfen. Einer Legende zufolge wurden während dieser grausigen Christenverfolgung auch die Apostel Paulus und Petrus hingerichtet.
Die jüngste Forschung zweifelt allerdings an einer direkten Verbindung zwischen dem Brand und den Verbrechen an den Christen. Denn vieles von dem, was wir über Neros Herrschaft zu wissen meinen, beruht auf den Aufzeichnungen des römischen Geschichtsschreibers Tacitus. Und Tacitus war ein Mann, der dem Kaisertum äußerst kritisch gegenüberstand und der Neros Bild vom irrsinnigen Tyrannen maßgeblich prägte. Außerdem ist nicht auszuschließen, dass bei späteren Abschriften seiner Bücher das eine oder andere Detail hinzuerfunden wurde.
Was für ein Mensch aber war Nero wirklich?
Als Kind trug Nero den Namen Lucius Domitius Ahenobarbus – und er hatte es wahrhaftig nicht leicht. Seine Mutter Iulia Agrippina, eine Schwester des berüchtigten Kaisers Caligula, war nämlich vom Ehrgeiz zerfressen und sah in ihrem Sohn von Anfang an den künftigen Herrscher. Unerbittlich verfolgte sie ihr Ziel. Dass sich der Knabe mehr für Kunst und Architektur, für Gesang und Theater interessierte als für Staatskunde war Agrippina völlig egal. Sie pochte auf eine exzellente Ausbildung und vertraute ihren Sohn unter anderem dem berühmten Philosophen Seneca an. Nichts überließ sie dem Zufall. Und so heiratete sie schließlich ihren Onkel, den amtierenden Kaiser Claudius, und brachte ihn dazu, ihren zwölfjährigen Sohn zu adoptieren.
Neros Karriere stand nun nichts mehr im Wege. Und als Claudius im Jahr 54 starb – auch hier soll Agrippina ihre Finger im Spiel gehabt haben –, da war es endlich soweit: Mit gerade mal 16 Jahren saß der selbstverliebte Nero auf dem Kaiserthron des riesigen Römischen Reichs. Doch der Machthunger seiner Mutter war dem jungen Kaiser nicht geheuer, und so ließ er Agrippina im fünften Jahr seiner Herrschaft ermorden.
Unter dem Einfluss seines Lehrers und Beraters Seneca gab sich Nero zunächst als ebenso großherziger wie bescheidener Herrscher. Er senkte die Preise, verhängte recht milde Strafen und ließ dem Senat ansonsten freie Hand bei politischen Entscheidungen. Das römische Volk war begeistert. So gut hatte man es schon lange nicht mehr getroffen. Vielen galt dieser fünfte Kaiser gar als Hoffnungsträger, der die Künste und Wissenschaften förderte. Auch stiftete er die Neronia, sportliche Wettspiele ähnlich denen, die in Griechenland in Mode waren. Dass Nero sich aus den Regierungsgeschäften heraushielt, bedeutete aber keineswegs, dass ihm der Thron mit all den Privilegien egal war. Nein, je länger Nero am Ruder war, desto mehr fürchtete er um seinen Kaisertitel.
Also räumte er erst seine intrigante Mutter aus dem Weg und sorgte dann dafür, dass auch Seneca sich zurückzog. Angeblich soll er im Jahr 65 auch seinen Stiefbruder Britannicus vergiftet haben. Allerdings weiß man heute, dass dieser unter Epilepsie litt und möglicherweise auch bei einem Anfall gestorben sein kann.
Allmählich wurde Nero jedenfalls immer mehr zum Tyrannen. Er verstieß seine treue Ehefrau Octavia zugunsten seiner Geliebten Poppaea, die ihre Vorgängerin angeblich ermorden und sich deren Kopf zum Beweis der Tat bringen ließ. Nero lebte unterdessen seinen Traum vom Künstlerdasein aus. Er schrieb Gedichte, die er öffentlich vortrug, wobei er sich selbst auf der Leier begleitete. Nero genoss es, sich und seine Kunst auf der Bühne zur Schau zu stellen. Und wehe dem, der es wagte, den Kaiser und seinen verschwenderischen Lebensstil zu kritisieren. Dabei war die römische Oberschicht regelrecht entsetzt: So ein liederliches Treiben sei eines römischen Kaisers unwürdig, hieß es. Ein Künstler habe auf dem Thron nichts zu suchen.
Nachdem Nero die vermeintlich Schuldigen am Brand von Rom mit großem Pomp bestraft hatte, widmete sich der architekturbegeisterte Kaiser dem Wiederaufbau der zerstörten Stadtviertel. Die zahllosen Obdachlosen sollten ja schnell wieder ein Dach über dem Kopf bekommen.
Doch wie sollte das Ganze finanziert werden? Mit seiner Vergnügungs- und Verschwendungssucht hatte Nero den Staat nahezu ruiniert. Kurzerhand ließ er daher sämtliche Heiligtümer im Römischen Reich plündern. Sich selbst gönnte Nero eine prachtvolle Palastanlage, die als Domus Aurea – das Goldene Haus – in die Geschichte Roma einging. Sogar einen künstlichen See und Weinberge soll es dort gegeben haben.
Neros Größenwahn blieb allerdings nicht ohne Folgen. Das Volk machte sich zunehmend lustig über seinen Künstler-Kaiser, während der Senat nicht länger dabei zusehen wollte, wie das Römische Reich vor die Hunde ging. Im April 65 kam es zur sogenannten Pisonischen Verschwörung, benannt nach einem Politiker namens Gaius Calpurnius Piso, der nach dem geplanten Mord an Nero neuer Kaiser werden sollte. Die Verschwörung scheiterte jedoch, weil die Pläne durch undichte Kanäle durchsickerten. Rasend vor Wut beschuldigte Nero unter anderem seinen früheren Berater Seneca, zu den Verschwörern zu gehören, und befahl ihm den Selbstmord.
Dem Anschlag war Nero entgangen, aber die Tage seiner Regentschaft waren dennoch gezählt: Erst wandte sich ein Getreuer nach dem anderen von ihm ab, dann stellte sich seine eigene Leibgarde gegen ihn: die Prätorianer. Kein Wunder: Neros Feinde hatten ihnen reichen Lohn versprochen, wenn sie beim Sturz des Kaisers helfen würden. Eine neue Verschwörung war im Gange und sollte diesmal Erfolg haben. Doch die Bestechungsgelder an die Militärs sollten nie ausgezahlt werden...
Im Jahr 68 überschlugen sich die Ereignisse. Ein Senator namens Gaius Iulius Vindex zog bewährte Heerführer auf seine Seite, unter ihnen einen über siebzigjährigen Mann namens Servius Sulpicius Galba, Statthalter der Provinz Hispania Tarraconensis im heutigen Spanien und Portugal. Der Aufstand gelang mit einiger Mühe, und der Senat erklärte Nero im Juni offiziell zum hostis –zum Staatsfeind. Weil Vindex kein Interesse am Thron zeigte, wurde Galba zum neuen Kaiser ausgerufen.
Der 30-jährige Nero wusste unterdessen, dass ihm nicht nur die damnatio memoriae drohte – die demonstrative Tilgung seines Andenkens für die Nachwelt – sondern auch ein qualvoller Tod, sollten ihn seine Verfolger lebendig zu fassen kriegen. Als einziger Ausweg blieb ihm der Selbstmord. Lange zögerte er ihn hinaus, was ihm nachträglich als Feigheit ausgelegt wurde. Kurz bevor Nero, der fünfte Kaiser von Rom, sich dann doch selbst erdolchte, soll er gejammert haben: „Welch Künstler geht mit mir zugrunde!”
Nun war also Servius Sulpicius Galba Kaiser von Rom geworden, ohne dass er überhaupt in der Hauptstadt weilte. In Gallien empfing er die Abordnung des Senats, die ihn als neuen Herrscher begrüßte. Galbas Thronbesteigung markierte das Ende der sogenannten julisch-claudischen Dynastie. Aber auch sie stand unter keinem guten Stern. Zurück in Italien machte sich der neue Kaiser die Prätorianer zu Feinden, weil er ihre Anführer durch eigene Günstlinge ersetzte und die ganze Truppe einschließlich der um die versprochenen Bestechungsgelder prellte. Es kam, wie es kommen musste: Galba konnte sich nicht an der Macht halten und wurde im Januar 69 durch Marcus Salvius Otho ersetzt – genau jenen Mann, dem Nero einst die Ehefrau Poppaea weggenommen hatte. Ungefähr zur gleichen Zeit ließ sich ein Heerführer namens Aulus Vitellius von unzufriedenen Legionen zum Gegenkaiser ausrufen und marschierte mit seinen Truppen nach Rom. Im April erhob der Senat tatsächlich Vitellius zum Kaiser. Nun aber sahen sich andere Teile des römischen Militärs benachteiligt und unterstützten im Sommer einen Mann namens Titus Flavius Vespasianus bei dessen Machtübernahme. Nach blutigen Kämpfen in Rom wurde Vitellius im Dezember 69 öffentlich zu Tode gefoltert und Vespasian bestieg den Thron. Er begründete die Dynastie der Flavier. Deren Kaiser sollten dem Römischen Reich endlich zu neuer Blüte verhelfen, und das sogar ziemlich schnell...
Zusammenfassung
Neros ehrgeizige Mutter Iulia Agrippina schreckte vor nichts zurück, um ihren Sohn auf den Kaiserthron zu bringen. Es gelang im Jahr 54 nach Christus. Im Alter von erst 16 Jahren folgte Nero seinem Adoptivvater Claudius auf den Thron.
In den ersten Jahren seiner Regentschaft stand Nero unter dem besänftigenden Einfluss seines Lehrers Seneca. Nero tat sich als Förderer der Künste und Wissenschaften hervor und galt allgemein als Hoffnungsträger.
Je länger Nero Kaiser von Rom war, desto mehr Macht wollte er ausüben. Erst räumte er seine machthungrige Mutter aus dem Weg, dann auch den Philosophen Seneca.
Beim Brand von Rom im Sommer 64 n. Chr. wurden zwei Drittel der Stadt zerstört. Den Aufzeichnungen Tacitus zufolge gab Nero den Christen die Schuld daran. Die Hinrichtungen von mehr als 200 Christen ließ der Kaiser als öffentliches Spektakel inszenieren.
Der Senat hatte schließlich genug von Neros Schandtaten und erklärte den Kaiser im Jahr 68 n. Chr. offiziell zum Staatsfeind. Diesem blieb kein anderer Ausweg, als sich selbst zu töten.
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Richtige Antworten:
1. B) 16
2. A) Seiner Mutter Agrippina
3. D) Kunst und Prunk
4. D) Nero
5. B) Die Annalen des Tacitus
6. C) … zum Staatsfeind erklärt
7. C) In Spanien und Portugal