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Massaker von My Lai

Das brutale Kriegsverbrechen
Das Bild zeigt eine brennende Szene mit einem zerstörten Gebäude und umherliegenden Trümmern, was das Massaker von My Lai während des Vietnamkrieges darstellen könnte. Figuren sind im Vordergrund erkennbar, die vor dem Feuer und der Zerstörung stehen.
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Intro

Sie waren Farmersöhne und frischgebackene High-School-Absolventen – gut 100 junge amerikanische Soldaten, die zu Hause wohl nicht einmal einen Hund geschlagen hätten. Im März 1968 begingen sie im südvietnamesischen Dorf My Lai das wohl brutalste Massaker des Vietnamkriegs. Ein Kriegsverbrechen, das erst nach mehr als einem Jahr ans Licht der Weltöffentlichkeit kam, weil die US-Regierung alles tat, um es zu vertuschen.

Kapitel 1: Todesangst

Hektisch saugt der kleine Junge so viel Luft in seine Lungen, wie er nur kann – und taucht schnell wieder hinab in den Kanal, der die großen Reisfelder mit Wasser versorgt. Voller Todesangst kann er nur hoffen, dass ihn die Amerikaner auch diesmal nicht bemerkt haben. Doch als die nächste Kugel nur einen Fingerbreit neben ihm ins Wasser schlägt, schwindet seine Hoffnung dahin. Nach einigen hektischen Schwimmzügen muss er wieder Luft holen – und stößt zum wiederholten Male mit seinem Kopf an einen leblos im Wasser treibenden Körper. Vorsichtig, aber mit aller Kraft drückt er ihn etwas nach oben, um sich eine kleine Luftblase über der Wasseroberfläche zu verschaffen. Dabei erkennt er entsetzt: Dieser Tote ist sein Onkel – war sein Onkel. Nur mit Mühe kann er einen Aufschrei unterdrücken, als eine weitere Maschinengewehrsalve auf die zahlreichen Dorfbewohner abgefeuert wird, die mittlerweile in dem Wassergraben treiben. Doch erneut hat der Junge Glück, auch diesmal sind die tödlichen Geschosse haarscharf an ihm vorbeigezischt. Mit aller Kraft versucht er, den Leichnam über sich noch einmal nach oben zu drücken, um ungesehen atmen zu können. Doch plötzlich erstarrt er: Kommt hier etwa jemand durch das Wasser direkt auf ihn zu? Der kleine Vietnamese verhält sich so still, wie es ihm nur möglich ist. Doch nur wenige Augenblicke später schreit er entsetzt auf, als ihn eine kräftige Hand am Arm packt und ihn mit einer entschlossenen Bewegung aus dem Wasser zieht. Die Hand eines Amerikaners...

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Kapitel 2: Mörderische Minenfelder

Im März 1968, nur wenige Wochen nach der Tet-Offensive der Nationalen Befreiungsfront für Südvietnam (NFB), beging ein militärisches Spezialkommando der US-Truppen im südvietnamesischen Dorf My Lai eines der brutalsten Kriegsverbrechen der Menschheitsgeschichte. Es trug die Bezeichnung „C-Company” – ausgesprochen Charlie nach dem NATO-Code für den Buchstaben C, den die US-Armee wiederum als Abkürzung für „Viet Cong” verwendete – die verächtliche Bezeichnung für die NFB und deren Kämpfer.

Die Charlie-Company unter Captain Ernest Medina war aus jungen Männern aus sämtlichen Regionen der USA zusammengewürfelt worden, die ein ganzes Jahr lang auf der Pazifikinsel Hawaii aufs Töten trainiert wurden – für den Einsatz im Dschungelkampf gegen die sogenannten Vietcong. Und Anfang 1968 war es dann schließlich soweit. Zusammen mit zwei weiteren Kompanien wurde das Spezialkommando nach Südvietnam verlegt, um kriegswichtige Einrichtungen der sogenannten Viet Cong auszuschalten. Ein Auftrag wie viele andere in diesem Krieg – eigentlich.

Doch über der Mission schien von Anfang an ein dunkler Schatten zu liegen. Auf ihren Erkundungsstreifzügen durch das Gemeindegebiet Son My in der Küstenprovinz Quang Ngai wurde die im Kampf unerfahrene Truppe zunehmend mit dem Schrecken des Krieges konfrontiert – und dies meist ohne auch nur einen einzigen Gegner zu sehen: Sie wurden von Scharfschützen aus Hinterhalten beschossen, sahen ihre Kameraden in Sprengfallen und Fallgruben mit vergifteten Pfählen qualvoll sterben. Und je mehr Todesopfer die Truppe zu beklagen hatte, desto stärker wurde der Hass, der sich in den jungen Männern aufstaute. Sie sahen bestätigt, was ihre Ausbilder ihnen eingehämmert hatten: Die Kommunisten seien von Grund auf böse und müssten vernichtet werden, wo man ihrer nur habhaft werden konnte. Bald begannen die jungen GIs auf alles zu schießen, was sich auf den Feldern ihrer Provinz bewegte. Aus reiner Wut machten sie verlassene Dörfer dem Erdboden gleich – zusätzlich angestachelt durch ihren Brigadekommandeur Colonel Oran K. Henderson, der ein Höchstmaß an Kampfbereitschaft und Aggression einforderte. Eines Abends verkündete Henderson, dass sie am nächsten Tag dem Feind endlich Auge und Auge gegenüberstehen sollten – und ihm alles heimzahlen könnten...

Kapitel 3: Ein verstörendes Blutbad

Als die GIs am frühen Morgen des 16. März in ihre Hubschrauber stiegen, mischten sich Angst und eine böse Vorfreude in ihnen auf gefährliche Weise. Endlich würden sie den verhassten Viet Cong an einer richtigen Front gegenüberstehen! Doch keiner dieser jungen Männer konnte ahnen, wie sehr sie sich alle täuschen sollten. Denn statt auf kampfbereite Guerilla-Krieger trafen die Amerikaner in My Lai auf Frauen, Kinder und Greise, die sich angstvoll in den Hütten verkrochen oder versuchten, in die umliegenden Felder zu fliehen. In sinnloser Raserei feuerten die Amerikaner auf die Dorfbewohner, brannten die Hütten nieder, töteten das Vieh, vergewaltigten Frauen, bevor sie sie erschossen. Ein 24-jähriger Leutnant namens William L. Calley ließ mehr als 150 Frauen, Kinder und alte Männer an einem Bewässerungskanal am Rand des Ortes zusammentreiben und mit Maschinengewehren zusammenschießen. Überlebende berichteten später, sie hätten sich nur retten können, weil sie sich in dem Graben unter den schwimmenden Leichen versteckten. Ein einziger Mann schritt ein: der Hubschrauberpilot Hugh Thompson. Er drohte, seinen eigenen Bordschützen auf die MG-Schützen feuern zu lassen, wenn die Massenerschießungen nicht eingestellt würden. Elf überlebende Frauen und Kinder brachte er in Sicherheit, indem er sie von zwei Choppern ausfliegen ließ.

Kapitel 4: Augenzeugen

504 tote Dorfbewohner, darunter zahlreiche Frauen, Kinder und Greise, waren die schreckliche Bilanz des Massakers von My Lai. Ein Kriegsverbrechen dieses Ausmaßes konnte selbst das amerikanische Oberkommando nicht einfach zur Kenntnis nehmen. Es war die Folge einer Befehlskette, die im Weißen Haus und im Pentagon begann und von den Offizieren der mittleren Ebene, die unmittelbar für die Truppenführung verantwortlich waren, Ergebnisse einforderte: Ergebnisse in Form des Bodycounts – dokumentierter Zahlen getöteter „Viet Cong”-Kämpfer. An dieser Statistik maß das Pentagon den eigenen Kriegserfolg.

Andererseits gab es selbst im Vietnamkrieg, der an Grausamkeit kaum mehr zu übertreffen war, Richtlinien zur Schonung der Zivilbevölkerung. In My Lai wurden diese außer Kraft gesetzt. Und dieses Dorf war offenbar nicht der einzige Ort, an dem die US-Army brutal und rücksichtslos gegen Zivilisten vorging. Der Hamburger Historiker Bernd Greiner schätzte die Opfer auf mehrere Zehntausend, nachdem er als einer der ersten ausländischen Quellenforscher in den Aktenbeständen des Washingtoner Nationalarchivs recherchiert hatte. Am Ende habe es für die Befehlshaber keinen Unterschied bedeutet, ob tatsächlich tote Guerillas in die Statistik einflossen oder tote Zivilisten.

Zivilisten wie die Eltern und die jüngeren Geschwister von Phan Tanh Cong, der damals elf Jahre alt war und als einziger seiner Familie das Massaker überlebte – weil er still unter deren Leichen liegen blieb. „Ich fühle noch heute den Horror. Meine Brüder, meine Schwester – zwei, vier, sechs Jahre alt – wie können die Viet Cong sein?” 1992 wurde er Leiter der Gedenkstätte, die in My Lai an das Blutbad erinnert. Einen weiteren erschütternden Augenzeugenbericht gab die damals 34-jährige Pham Thi Thuan, Überlebende der Massenerschießung am Wassergraben. Stunden habe sie unter den Leichen ihrer Schwester und anderer Menschen ausgeharrt. Dann habe sie versucht zu fliehen, aber in diesem Augenblick habe sie einen Hubschrauber gesehen, der zur Landung ansetzte. Es war der Hubschrauber, der von Leutnant Hugh Thompson befehligt wurde. Sein Eingreifen rettete Pham Thi Thuan und weiteren zehn Menschen aus My Lai das Leben. Sein Bericht sollte zur Aufklärung des Kriegsverbrechens beitragen. Aber die US-Militärführung tat alles, um es unter der Decke zu halten.

Kapitel 5: Vertuschung eines Massakers

Die US-Militärführung war sich dessen bewusst, dass es zu Massenprotesten kommen würde, wenn die ganze Wahrheit über die Gräueltaten der GIs in Vietnam ans Tageslicht kommen würde. Und so beschloss das Pentagon kurzerhand, das Massaker soweit wie möglich zu verharmlosen und der Öffentlichkeit die grausamen Geschehnisse zu verschweigen. Es passte nicht in die Selbstdarstellung Amerikas, das angetreten sei, um die Freiheit und die Demokratie gegen kommunistische Unterdrückung zu verteidigen. Doch der Massenmord von My Lai ließ sich nicht verschweigen. Beteiligte begannen darüber zu reden. Der (nicht beteiligte) Hubschrauber-Bordschütze Ronald Ridenhour erfuhr es von einem alten Freund und war schockiert: „Wir gingen nicht nach Vietnam, um Nazis zu werden”, sagte er damals. „Jedenfalls nicht die Leute, die ich kenne. Ich will kein Nazi sein.” Ridenhour schrieb Briefe an Präsident Richard Nixon, den Verteidigungsminister, verschiedene Abgeordnete des US-Kongresses und den Armeechef, General William Westmoreland. Für diesen führte nun kein Weg mehr daran vorbei, die Vorgänge zu untersuchen und den Beschuldigungen nachzugehen. Gegen die Verantwortlichen, unter ihnen Colonel Henderson, Captain Medina und Leutnant William Calley – den Offizier, der die Massenerschießung am Bewässerungsgraben befohlen hatte – wurde endlich Anklage vor einem Militärgericht erhoben.

Das ganze Ausmaß des Kriegsverbrechens in My Lai kam jedoch erst durch die beharrlichen Recherchen des Journalisten Seymour Hersh ans Licht der Öffentlichkeit. Sein Bericht und die verstörenden Bilder des Armeefotografen Ron Haeberle, der das Blutbad vor Ort miterlebt hatte, erschienen weltweit in Zeitungen und Fernsehen.

William Calley wurde drei Jahre nach dem Massaker von My Lai zu lebenslanger Haft verurteilt – eine Strafe, die er nie absaß, denn schon am darauffolgenden Tag ließ US-Präsident Richard Nixon Calleys Strafe in einen „Hausarrest“ umwandeln. Die übrigen Angeklagten waren von der Jury aus zwei Generälen und fünf Obersten freigesprochen worden.

Präsident Nixon war es allerdings auch, der Jahre später mit einer neuen Strategie versuchte, den Vietnamkrieg seitens der USA zu beenden. Welche Folgen das für den Süden des geteilten Landes haben sollte, konnte allerdings nicht einmal er ahnen...

Zusammenfassung

  • Am 16. März 1968 stürmte ein amerikanisches Spezialkommando das südvietnamesische Dorf My Lai mit dem Auftrag, vermeintliche „Viet Cong”-Kämpfer auszuschalten.

  • Als die US-Soldaten das Dorf stürmten, trafen sie nur Reisbauern, Frauen und Kinder. Dennoch schossen sie die Menschen nieder und zündeten ihre Häuser an.

  • Bei einem Bewässerungskanal am Rande des Dorfs kam es zu einer Massenhinrichtung von mehr als 150 Dorfbewohnern.

  • Die Militärführung der Vereinigten Staaten spielte das Massaker von My Lai herunter und verschwieg es der Presse. Doch die schrecklichen Bilder und Augenzeugenberichte über das Kriegsverbrechen ließen sich nicht vertuschen. Recherchen eines Kriegsveteranen und eines Journalisten brachten sie ans Licht der Öffentlichkeit. Dies und der juristische Umgang mit den Hauptschuldigen ließen die Stimmung in den USA endgültig gegen den Krieg kippen.

  • Ein Militärgericht verurteilte William Calley als einzigen Beteiligten zu lebenslanger Haft, die übrigen wurden freigesprochen. US-Präsident Richard Nixon ließ Calleys Strafe in einen „Hausarrest“ umwandeln.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. In welchem Dorf begingen US-Soldaten während des Vietnamkriegs eines der schlimmsten Massaker an der Zivilbevölkerung?
    1. A) Hanoi
    2. B) My Lai
    3. C) Dien Bien Phu
    4. D) Saigon
  2. In welchem Jahr kam es während des Vietnamkriegs zum Massaker von My Lai?
    1. A) 1968
    2. B) 1969
    3. C) 1971
    4. D) 1971
  3. Wer befand sich in My Lai, als die Amerikaner während des Vietnamkriegs das südvietnamesische Dorf stürmten?
    1. A) Vietcong-Kämpfer
    2. B) Eine Delegation aus Deutschland
    3. C) Südvietnamesische Überläufer
    4. D) Zivilbevölkerung
  4. Wen hatte die US-Spezialeinheit „Charlie“ in dem südvietnamesischen Dorf My Lai erwartet, als sie es 1968 mit Waffengewalt stürmten?
    1. A) Russische Spione
    2. B) Thailändische Mönche
    3. C) Sogenannte Vietcong
    4. D) Chinesische Geiseln
  5. In welche Strafe wandelte US-Präsident Nixon während des Vietnamkriegs das „Lebenslänglich“ des einzigen verurteilten Kriegsverbrechers von My Lai um?
    1. A) Hausarrest
    2. B) Gefängnis
    3. C) Geldstrafe
    4. D) Todesstrafe

Richtige Antworten:
1. B) My Lai 
2. A) 1968
3. D) Zivilbevölkerung
4. C) Sogenannte Vietcong
5. A) Hausarrest

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