Im 19. Jahrhundert war Vietnam Teil der französischen Kolonie Indochina geworden. Jahrzehntelang kämpften die Vietnamesen um ihre Unabhängigkeit. Viele Aufstände waren erfolglos gewesen, aber im Frühjahr 1954 formierte sich die vietnamesische Unabhängigkeitsbewegung zur entscheidenden Schlacht gegen die französische Kolonialherrschaft: zur Schlacht um Dien Bien Phu.
General Henri Navarre lässt seinen Blick zum wiederholten Male über die tiefgrünen Berghänge wandern, die das idyllische Tal von Dien Bien Phu umrahmen. Dass dieser Stützpunkt hier kein Paradies auf Erden ist, weiß der General sehr wohl – aber die Taleingänge sind gut gesichert, und die dicht bewaldeten Berge zu beiden Seiten sind für mögliche Angreifer mit schwerem Kriegsgerät unpassierbar. Und überhaupt: Was sollen die Vietnamesen schon gegen 15.000 französische Fallschirmjäger und Fremdenlegionäre ausrichten können. Beruhigt lehnt sich der Franzose wieder zurück und will nach seinem Rotweinglas greifen. Doch plötzlich hält er mitten in der Bewegung inne. Alarmiert springt er auf und nimmt die Hügelkämme erneut ins Visier. Sind das etwa Lichter, die immer wieder im dichten Bewuchs der Hänge aufblitzen? Und es werden immer mehr! Der General bellt einen Befehl, und sofort kommt ein Soldat mit einem Fernglas angelaufen. Auch er rätselt beunruhigt: Glänzt dort oben Metall? Oder sind es vielleicht Laternen? General Navarre presst den Feldstecher an seine Augen – und wird kreidebleich. Nun weiß er, dass seine schlimmste Befürchtung Wirklichkeit geworden ist: Die vermeintlich so sichere Dschungelfestung in diesem engen, rund 20 Kilometer langen Tal ist zur tödlichen Falle geworden...
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Jetzt runterladen!Was viele Menschen heute nicht wissen, ist: Der Vietnamkrieg hat nicht erst mit den Amerikanern angefangen. Vielmehr hatte dieser Krieg seine Wurzeln in einem Konflikt, der bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Im Jahr 1887 hatte sich Frankreich in Südostasien ein riesiges Gebiet als neue Kolonie angeeignet: das sogenannte Indochina. Zu dieser Kolonie gehörte neben den heutigen Ländern Laos und Kambodscha auch jenes unscheinbare Land namens Vietnam – und genau dort wollte sich die Bevölkerung nicht einfach mit den neuen Besatzern abfinden. Immer wieder gab es Aufstände, die von französischer Seite mit aller Brutalität niedergeschlagen wurden. Doch Anfang der 1940er-Jahre trat im Norden Vietnams ein vietnamesischer Rebell auf den Plan, der weit mehr im Sinn hatte als einzelne Scharmützel gegen die Franzosen. Er plante einen Unabhängigkeitskampf im großen Stil und schaffte es in kürzester Zeit, eine eigene Befreiungsarmee aufzubauen und das ganze Land für das große Ziel der Unabhängigkeit zu begeistern. Der Name dieses Mannes bedeutet sinngemäß „Quelle des Lichts“. Besser bekannt ist er unter seinem Kampfnamen Ho Chi Minh.
Jahrzehntelang hatte der charismatische Rebell auf der Abschlussliste des französischen Kolonialreiches gestanden, sodass er sich rund 30 Jahre lang im Ausland aufhalten musste. Diese Zeit nutzte er dazu, den großen Unabhängigkeitskampf seines Heimatlandes vorzubereiten. Ganz nebenbei rief er auch noch die kommunistische Partei Indochinas mit ins Leben. Doch als Ho Chi Minh 1941 wieder in sein Heimatland zurückkehrte, wurde ihm sehr schnell bewusst, dass eine reguläre vietnamesische Armee keine Chance gegen die professionelle Kampfkraft der französischen Soldaten und der Fremdenlegion haben würde. Also begann er, eine eigene Truppe namens Viet Minh – die Liga für die Unabhängigkeit Vietnams – in der sogenannten Guerilla-Taktik auszubilden. Das einfache, aber wirkungsvolle Prinzip: Unbemerkt aus dem Hinterhalt angreifen, den Feind zur Strecke bringen – und schnell wieder in den Tiefen des Urwalds verschwinden.
Jahrelang tobte ein verbissener und äußerst brutaler Kampf, unter dem vor allem die Bevölkerung litt. Als auch nach fast zehn Jahren noch immer keine Entscheidung gefallen war – und eigentlich beide Seiten bereits Verhandlungsbereitschaft signalisierten, sollte ein beispielloses Massaker die Kehrtwende bringen. Ein Befreiungsschlag der Viet Minh, der für die französischen Truppen zum Inbegriff des Schreckens wurde.
Im Mai 1953 hatte General Navarre den Oberbefehl über die französische Armee in Indochina übernommen. Er hatte sich im Ersten Weltkrieg durch Tapferkeit ausgezeichnet und im Zweiten Weltkrieg unter anderem in Nordafrika gegen die deutsche Wehrmacht gekämpft. Unter dem Vichy-Marionettenregime war Navarre in den Untergrund gegangen und hatte in der französischen Widerstandsbewegung Résistance weiter für die Befreiung Frankreichs von der deutschen Oberherrschaft gekämpft.
Nun aber war er in Vietnam, das von seinem Heimatland unterdrückt und versklavt wurde. Hier sollte er den Guerillakampf der vietnamesischen Freiheitsbewegung endgültig niederschlagen. Sein Ziel war es, die Viet Minh aus den unwegsamen Urwäldern heraus in eine offene Schlacht zu zwingen, in der seine Legionäre ihre Stärke gegen die wahrscheinlich schlechter bewaffneten Vietnamesen ausspielen konnten. Als Ort des Basislagers wurde ein Tal im Südwesten des Landes auserkoren: Nahe einer Stadt namens Dien Bien Phu sollte der zentrale Militärstützpunkt der französischen Kolonialarmee entstehen. Das Problem war nur: Dort konnte man nicht einfach mit Lastwagen und Geschützlafetten hinfahren! Das Tal lag zwischen Steilhängen inmitten undurchdringlicher Wälder, und es gab nur den einen Weg, den vor etlichen Jahren schon die japanische Besatzungsmacht genutzt hatte: durch die Luft. Das französische Expeditionskorps würde samt Material mit Flugzeugen über Dien Bien Phu abgesetzt werden müssen – und zwar, zumindest bis die alte Landebahn der Japaner befestigt und verlängert war, mit Fallschirmen.
Im November 1953 startete die Operation Castor – die größte Luftlandeoperation seit dem Zweiten Weltkrieg. Insgesamt 4500 Franzosen und Fremdenlegionäre wurden als Fallschirmspringer abgesetzt, um Dien Bien Phu zu einer waffenstarrenden Festung auszubauen. Unter dem Kommando von Christian Marie de Castries wurden über Winter die Gebäude des Basislagers errichtet und der Flugplatz mit einem schützenden Ring von Außenstützpunkten auf umliegenden Hügeln umgeben. Sie erhielten Frauennamen wie Beatrice, Gabrielle oder Eliane. Die Franzosen fühlten sich sicher in ihrem Bollwerk, das sie für uneinnehmbar hielten. Aber bald sollten sie eines Besseren belehrt werden.
Denn auch die Viet Minh trafen ihre Vorbereitungen. Auf Flüssen und neu angelegten Wegen verfrachteten sie alle verfügbaren Artilleriegeschütze aus dem gesamten Land nach Dien Bien Phu. Die ganze Bevölkerung half dabei. Rund 14.500 zivile Träger schleppten zu Fuß Munition und Proviant durch unwegsame Wälder. Und als am 13. März des Jahres 1954 der Befehl zum Losschlagen kam, standen mehr als 40.000 Viet-Minh-Soldaten unter ihrem Anführer Vo Nguyen Giap zum Kampf gegen die völlig überrumpelten Franzosen bereit. General Giap ließ das feindliche Militärlager unter schweres Artilleriefeuer nehmen. Fast zwei Monate lang machten die Viet Minh den Franzosen das Leben buchstäblich zur Hölle. Den Kommandeuren blieb am Ende nichts anderes mehr übrig, als Anfang Mai ihre Kapitulation zu erklären.
Mit dem Sieg in der Schlacht von Dien Bien Phu hätte der sogenannte Indochinakrieg und damit der Leidensweg des vietnamesischen Volkes zu Ende sein können. Aber das, was nur kurze Zeit später auf internationaler Ebene in Genf beschlossen wurde, sollte das Land endgültig in den Abgrund stürzen.
Die Kolonialherren waren besiegt und Vietnam endlich frei! Aber welchen politischen Weg sollte das Land für die Zukunft einschlagen? Diese Frage war 1954 Thema der Genfer Indochina-Konferenz, an der neben Frankreich und seinen ehemaligen Kolonien auch Großbritannien, China, die Sowjetunion und die USA teilnahmen. Die internationale Konferenz beschloss, die Kriegsparteien erst einmal räumlich voneinander zu trennen. Dazu wurde Vietnam entlang des 17. Breitengrades in zwei sogenannte Umgruppierungszonen geteilt: Die Viet Minh und ihre Unterstützer sollten sich in den Norden des Landes zurückziehen, Südvietnam hingegen sollte vorerst unter französischem Einfluss bleiben. Diese Zweiteilung war eigentlich nur als vorübergehender Zustand gedacht, um friedliche und freie Wahlen in ganz Vietnam vorzubereiten. Unter einer gemeinsamen demokratisch gewählten Regierung sollte das Land dann spätestens nach zwei Jahren wieder vereinigt werden.
Ein gut gemeinter Beschluss, aber er sollte fürchterliche Folgen haben. Denn die USA weigerten sich am Ende der Konferenz, deren Schlussakte zu unterzeichnen. Sie erklärten lediglich, die Beschlüsse zu respektieren. Insgeheim setzten die Amerikaner nämlich alles daran, landesweite demokratische Wahlen in Vietnam zu verhindern. Warum? Weil sie – wohl nicht ganz zu Unrecht – mit einem haushohen Sieg der Kommunisten um ihren Anführer Ho Chi Minh rechneten. Und weil sich die beiden Supermächte USA und Sowjetunion in den Fünfzigerjahren mitten im Kalten Krieg befanden, wollten die Amerikaner einen neuen kommunistischen Staat unbedingt verhindern!
Zusammenfassung
Seit dem 19. Jahrhundert kämpfte Vietnam gegen die französische Kolonialherrschaft.
Anfang der 1940er-Jahre setzte sich der Kommunist Ho Chi Minh an die Spitze des vietnamesischen Unabhängigkeitskampfs. Die Rebellen nannten sich „Viet Minh“.
Im Frühjahr 1954 gewannen die Viet Minh die Entscheidungsschlacht um Dien Bien Phu und zwangen die Franzosen zur Kapitulation.
In der Genfer Indochina-Konferenz beschlossen die Großmächte, Vietnam für längstens zwei Jahre zu teilen, um die Kriegsparteien Frankreich und Viet Minh territorial voneinander zu trennen. Während dieser Zeit sollten landesweite demokratische Wahlen vorbereitet werden, um das Land in die Souveränität entlassen zu können.
Die USA weigerten sich jedoch, die Schlussakte der Konferenz zu unterzeichnen. Denn landesweite freie Wahlen waren nicht in ihrem Sinne, weil sie mit einem Sieg der Kommunisten auch im Süden rechnen mussten.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. B) Indochina
2. A) Viet Minh
3. C) Guerilla-Taktik
4. A) 1954
5. D) Genfer Indochina-Konferenz