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Tet-Offensive

Wie das Neujahrsfest im Blut ertrank
South Vietnamese troops in action near Tan Son Nhut Air Base
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Inhalte

Intro

Tet ist das vietnamesische Neujahrsfest. Die Vietnamesen feiern es nach dem Mondkalender – drei Tage lang. Sie beten in den Tempeln, sie schmücken ihre Häuser, und alle Waffen schweigen an diesen drei Tagen. Nur im Jahr 1968 war das anders. In dieser Story hörst du von einem brutalen Überraschungsangriff sogenannter Vietcong-Kämpfer und nordvietnamesischer Truppen auf den Süden – und du erfährst, wie Kriegsreporter die Welt wachrüttelten.

Kapitel 1: Kein friedliches Fest

Entspannt lehnt der Amerikaner an einer Häuserwand im Herzen der Hauptstadt von South Vietnam und bläst den Rauch seiner Zigarette in die feuchtwarme Tropenluft. Neugierig beobachtet er das exotische Treiben um sich herum. Was genau diese Vietnamesen hier eigentlich feiern, weiß er nicht – ihn interessiert eigentlich nur, dass für diesen und die nächsten Tage keine Kampfhandlungen zu erwarten sind. Überall sind Menschen augenscheinlich voller Vorfreude mit Festvorbereitungen beschäftigt. Eine ältere Frau mit Palmblätterhut zerrt angestrengt einen offenbar schweren Blumenwagen auf den Platz, eine Gruppe junger Frauen in voluminösen Festkleidern steht schwatzend am Rand, ein seltsam aussehender uralter Lastwagen kommt herangeknattert. Aber der Soldat hat ein ungutes Gefühl. Irgendetwas stimmt hier nicht. Sind es die merkwürdig dicken Mädchen in ihren wallenden Gewändern? Ist es der scheinbar zentnerschwere Blumenkarren? Oder doch eher der alte Laster mit seinem seltsamen Unterbau? Der Soldat greift schließlich instinktiv nach seiner Waffe – und das auch keinen Moment zu früh! Denn urplötzlich bricht das reine Chaos aus: Die Blumenfrau reißt ihre Gestecke vom Wagen und legt eine Ladung Maschinenpistolen frei, die jungen Frauen ziehen Handgranaten aus den Gewändern – und aus dem seltsamen Unterbau des Lastwagens klettern junge Männer, die sich nun die Waffen schnappen und mit wildem Gebrüll losstürmen – und nur wenige Augenblicke später sind die Straßen der südvietnamesischen Hauptstadt Saigon rot vom Blut.

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Kapitel 2: Ein heimtückischer Plan

Der traditionelle Festfrieden des vietnamesischen Neujahrsfestes wurde im Jahr 1968 jäh und blutig unterbrochen, als die Nationale Befreiungsfront in ganz Südvietnam zum geballten Militärschlag ausholte – sorgfältig getarnt und von langer Hand vorbereitet. Ihre Strategie war so einfach wie heimtückisch: Wenn in ganz Vietnam das Tet-Fest gefeiert wird und dementsprechend auch die Waffen schweigen, genau dann wollte man den amerikanischen Besatzern und ihren südvietnamesischen Handlangern eine böse Überraschung bereiten. Und das in allen wichtigen Städten und US-Militärstützpunkten Südvietnams gleichzeitig!

Allein die Vorbereitungen dieser Großoffensive waren eine logistische Meisterleistung: In aller Heimlichkeit schickte Nordvietnam Zehntausende getarnte Soldaten in die ausgewählten Orte, während auf den unterschiedlichsten Wegen tonnenweise Kriegsgerät und Waffen in den Südteil des Landes verfrachtet wurden. Die große Hoffnung der Unabhängigkeitskämpfer aus dem Norden mit ihrem Präsident Ho Chi Minh und dem militärischen Oberbefehlshaber General Vo Nguyen Giap: Wenn die Landsleute im Süden die bahnbrechenden Erfolge dieser landesweiten Offensive sähen, dann würden sie sich endlich von den verhassten Amerikanern lossagen – und die lang ersehnte Wiedervereinigung würde in greifbare Nähe rücken.

Die US-Truppen ahnten nichts. Ende der 1960er Jahre waren fast 500.000 amerikanische Soldaten in Vietnam stationiert – in einem Land, das sie nicht verstanden, in einem Krieg, der sie selbst immer mehr zermürbte. The Vietnam War: Die meisten US-Soldaten hatten längst genug von diesem sinnlosen Gemetzel, bei dem es einzig und allein darum ging, eine Wiedervereinigung des Landes durch die Kommunisten zu verhindern. Die meisten werden sich wohl auf die festbedingte Waffenruhe gefreut haben. Doch diesmal war es ein trügerischer Frieden.

Kapitel 3: Blutiges Neujahrsfest

Die „Tet-Offensive“ der Kommunisten begann am 30. Januar 1968, am ersten Tag des vietnamesischen Neujahrsfestes. Sie war von größter Grausamkeit geprägt und sollte zum blutigen Inbegriff des gesamten Vietnamkriegs werden. An rund 100 Orten im Land schlugen mehr als 80.000 Kämpfer gleichzeitig zu, belagerten die US-Marines in ihrem Stützpunkt nahe der Küstenstadt Khe Sanh, besetzten wichtige Gebäude und richteten Massaker unter vermeintlichen Verrätern an – unter Zivilisten also, die auf irgendeine Weise mit den US-Besatzern zusammengearbeitet hatten. Den nordvietnamesischen Truppen gelang es unter anderem, die alte Kaiserstadt Hue zu erobern und sich in Saigon bis zu den Hauptquartieren der südvietnamesischen Armee und zum Palast des Präsidenten durchzuschlagen. Eines der brisantesten Gefechte fand direkt an der US-Botschaft statt. Denn mit der versuchten Erstürmung durch ein Spezialkommando wurde quasi nicht mehr nur Südvietnam angegriffen, sondern gewissermaßen auch die USA.

Ihr Ziel hat die Neujahrsoffensive am Ende verfehlt. Weder liefen südvietnamesische Soldaten scharenweise zur Befreiungsfront über, wie die es eigentlich erwartet hatte, noch konnte diese ihre eroberten Stellungen halten. Schon bald unterlagen die Angreifer der geballten Feuerkraft der Amerikaner. Der landesweite Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, und am Ende war es wieder einmal die Zivilbevölkerung, die am schlimmsten unter den Folgen zu leiden hatte. Ein Sieg also für die amerikanischen Besatzer? Militärisch ja. Aber gleichermaßen war die Tet-Offensive ein herber Rückschlag für die US-Politik. Denn die Fernsehzuschauer auf der ganzen Welt bekamen zum ersten Mal vollkommen ungeschminkt die grausamen Kriegsverbrechen auf beiden Seiten zu sehen.

Kapitel 4: Ein Präsident in Nöten

Anfang Februar ‘68 ging ein Pressefoto um die Welt, das eine Szene von unglaublicher Grausamkeit festhielt: Ein Mann in Uniform richtet seine Pistole auf den Kopf eines Zivilisten in kariertem Hemd und kurzen Hosen, dessen Hände auf dem Rücken gefesselt sind. Und schießt.

Genau in diesem Augenblick hatte der US-Pressefotograf Eddie Adams den Auslöser seiner Kamera gedrückt. Sein Foto dokumentierte den Moment, in dem ein gefesselter Mann starb: eine Hinrichtung auf offener Straße, mit deren Vollzug er selbst, so sollte Adams später berichten, nicht gerechnet hatte. Es war der 1. Februar, der vietnamesische Neujahrstag. Das Opfer hieß Nguyen Van Lem, Mitte 30, ein Guerillakämpfer der südvietnamesischen Befreiungsfront, der von US-Soldaten gefangengenommen worden war. Der Mörder war der Polizeichef von Saigon, General Nguyen Ngoc Loan. Und obwohl es auch Filmaufnahmen der Tat gab, war es Adams’ Fotografie, die der Welt die Grausamkeit und Sinnlosigkeit des Vietnamkriegs eindringlich und ungeschönt vor Augen hielt. Amerikaner, die bisher noch hinter dem Krieg und ihrem Präsidenten gestanden hatten, wandten sich nun von Lyndon B. Johnson ab und waren jetzt ebenfalls davon überzeugt, dass das Töten wehrloser Zivilisten in Vietnam beendet werden musste.

Auch Präsident Johnson musste nach der Tet-Offensive feststellen, dass er überall in den USA an Glaubwürdigkeit verloren hatte. Noch vor Kurzem hatte er dem Volk versprochen, dass der Vietnamkrieg bald zu Ende sein würde. Und nun berichteten Fernsehsender in aller Welt von einer nie dagewesenen Invasion der gefürchteten Kommunisten und den schrecklichen Gräueltaten, die nicht nur das Regime Südvietnams, sondern auch Amerikaner an den Nordvietnamesen verübten. Und dennoch sah Johnson noch immer keine Möglichkeit, aus diesem grausamen Krieg wieder herauszukommen, der sich aus einem eher nebensächlichen Marinegefecht in der Bucht von Tonkin entwickelt hatte. Selbst wenn er seine Truppen nun nach Hause holen würde – wie sollte er dem amerikanischen Volk dann erklären, wofür so viele junge US-Soldaten in dieser „grünen Hölle“ bereits hatten sterben müssen? Das Töten auf beiden Seiten ging weiter, und es sollte immer brutalere Formen annehmen. Nur wenige Wochen nach der Tet-Offensive ermordeten US-Soldaten einer Spezialkompanie 504 Männer, Frauen und Kinder in einem Dorf namens My Lai, in welchem sie angebliche Viet Cong-Kämpfer ausschalten sollten. Ein Kriegsverbrechen der Amerikaner, das als das Massaker von My Lai bekannt wurde – nachdem die US-Army es über ein Jahr lang vertuscht hatte. Das war der endgültige turning point, der Wendepunkt in der öffentlichen Wahrnehmung in der gesamten westlichen Welt, und die grausigen Geschehnisse wie auch der Umgang der Militärs damit mobilisierten die Friedensbewegung in the United States und weltweit so stark wie nie zuvor.

Zusammenfassung

  • Am 30. Januar 1968 griffen die Nordvietnamesen rund 100 wichtige Städte und Stützpunkte in Südvietnam an. Die Großoffensive war von langer Hand vorbereitet und bewusst auf den ersten Tag des vietnamesischen Neujahrsfests „Tet“ gelegt worden.

  • Die Angriffe trafen die Amerikaner und Südvietnamesen völlig unvorbereitet. So konnten die Nordvietnamesen bis in die Hauptstadt Saigon vorrücken.

  • Gegen die enorme Feuerkraft der Amerikaner hatten die Angreifer allerdings keine Chance. Die „Tet-Offensive“ wurde blutig niedergeschlagen. 

  • Kriegsreporter schickten Bilder von unglaublichen Grausamkeiten auf beiden Seiten um die Welt. In den USA und vielen weiteren Ländern formierten sich daraufhin Proteste gegen den Krieg in Vietnam, die auch der US-Präsident nicht mehr überhören konnte.

Teste dein Wissen im Quiz

  1. Was wird in Vietnam mit dem Begriff „Tet“ bezeichnet?
    1. A) Unabhängigkeitstag
    2. B) Weihnachtsfest
    3. C) Neujahrsfest
    4. D) Beginn der Reisernte
  2. In welchem Jahr fand die landesweite „Tet-Offensive“ der Nordvietnamesen statt?
    1. A) 1968
    2. B) 1965
    3. C) 1969
    4. D) 1970
  3. Wie hieß die Hauptstadt Südvietnams, die während des Vietnamkrieges von den Nordvietnamesen angegriffen wurde?
    1. A) Hanoi 
    2. B) Hue 
    3. C) Dien Bien Phu  
    4. D) Saigon 
  4. Das Pressefoto welches Ereignisses trug im Februar 1968 maßgeblich zur Mobilisierung der Friedensbewegung in den USA bei?
    1. A) Bombenattentat auf Ho Chi Minh
    2. B) Erschießung eines gefesselten Zivilisten
    3. C) Brand der US-Botschaft
    4. D) Abschuss einer US-Bomberstaffel
  5. Welche Kriegspartei konnte nach der Tet-Offensive zumindest den militärischen Sieg für sich verbuchen?
    1. A) Südvietnam
    2. B) Nordvietnam
    3. C) Die USA
    4. D) Keine

Richtige Antworten:
1. C) Neujahrsfest 
2. A) 1968
3. D) Saigon 
4. B) Erschießung eines gefesselten Zivilisten 
5. C) Die USA

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