Die germanischen Stämme östlich des Rheins waren den Herrschern im alten Rom ein Dorn im Auge. Also machte sich der Feldherr Varus im Auftrag des Kaisers daran, sie zu erobern. Rom aber hatte die Rechnung ohne einen Mann gemacht, der doch eigentlich für Rom und gegen die Germanen kämpfen sollte. Er hieß Arminius, ein wahrhaftiger Doppelagent. Er lockte die schier übermächtigen Römer in eine ziemlich raffinierte Falle.
„Römer! Die Römer kommen!“ Panisch stürzt die junge Frau ins Haus. Die ganze Familie sitzt am Feuer. Sigimer, der Erste seines Stammes der Cherusker, hebt die vernarbten Hände vors Gesicht, schließt kurz die Augen und holt tief Luft. Er weiß genau, warum die römischen Legionäre ins Dorf kommen und sich dafür sogar in die gefürchteten Wälder Germaniens wagen. Und wenn sie gleich vor seinem Haus auftauchen, dann kann das nur eines bedeuten: Er sieht seine beiden Söhne gerade zum letzten Mal.
Seit er denken kann, schließen die Römer Verträge mit den germanischen Stämmen, um sich deren Gefolgschaft zu sichern. Und dann nehmen sie deren Söhne mit nach Rom, wo sie im Sinne des Imperiums erzogen werden. Die Römer nennen das ein Privileg und alle Germanen abfällig Barbaren. Doch wer sind hier die Barbaren?, denkt Sigimer bitter. Wer, wenn nicht diejenigen, die Kinder entführen? Heute sind also seine beiden Söhne an der Reihe. Im Haus ist es ungewöhnlich still. Kein Stimmengewirr, kein Kichern, kein Fluchen. Nur das Knistern und Knacken der glühenden Holzscheite ist zu hören. Da klopft es plötzlich laut dröhnend an die Tür. Wie versteinert bleibt Sigimer sitzen. Nur sein Blick folgt dem abziehenden Rauch des Feuers...
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Jetzt runterladen!Zwanzig Jahre später. Wieder einmal schreckte der römische Offizier Arminius aus seinen Tagträumen auf. Nicht zum ersten Mal waren ihm die Erinnerungen an seine Kindheit in den Sinn gekommen, an jene unbeschwerten Tage, als er mit seinem jüngeren Bruder in den dichten Wäldern seiner Heimat gespielt hatte. Bis die Römer an die Tür seines Vaterhauses klopften.
Nun war er selbst einer von „ihnen“ geworden, trug sogar einen lateinischen Namen. Als Sohn eines Cheruskerfürsten hatte er dieselbe Schulbildung genossen wie alle römischen Kinder aus gutem Hause. Arminius hatte Latein gelernt und sich besonders in der militärischen Ausbildung hervorgetan. Schließlich wurde er ein römischer Bürger mit allen Freiheiten, trat in die Armee ein, zeichnete sich durch Tapferkeit aus und wurde zum Offizier ernannt. Erfolgreich nahm er an römischen Feldzügen teil und half dabei mit, Aufstände gegen das Reich niederzuschlagen.
Unter Kaiser Augustus war Gallien westlich des Rheins fest in römischer Hand. Doch Rom wollte mehr. Auch die Gebiete auf der Ostseite sollten endlich römische Provinz werden und Steuern einbringen. Bislang gab es dort nur ein paar römische Vorposten und Siedlungen, etwa im heutigen Westfalen, deren Besatzungen mit den Einheimischen friedlichen Handel trieben. Das änderte sich allerdings, als Kaiser Augustus seinen Günstling Publius Quinctilius Varus als Statthalter und Oberbefehlshaber über die Rhein-Legionen einsetzte. Varus wollte nicht Handel treiben, er wollte herrschen. Von seinem Kastell nahe der heutigen Stadt Haltern aus begann er damit, Steuern einzutreiben und Gericht zu halten. Damit setzte er sich über uralte Gewohnheitsrechte hinweg und brachte die germanischen Stammesführer gegen sich auf. Arminius, der die germanischen Kundschafter- und Hilfstruppen kommandierte und beide Seiten kannte, muss das Treiben mit zunehmendem Unbehagen beobachtet haben: Er sollte nun also dabei helfen, die Volksstämme seiner alten Heimat zu unterwerfen ...
Arminius genoss das Vertrauen des Publius Quinctilius Varus. Im Frühjahr des Jahres 9 koordinierten beide den Umzug der römischen Truppen aus dem Winterlager bei der heutigen Stadt Xanten am Rhein entlang des Flusses Lippe ins Sommerlager an der Weser im heutigen Niedersachsen. Was der junge Cherusker hier zu sehen bekam, übertraf alles Bisherige: Drei römische Legionen, insgesamt 16.000 Soldaten, schulterten ihr Gepäck. Dazu kamen einheimische Hilfstruppen, Handwerker und deren Familien, Zugtiere und Planwagen für das Material sowie mehrere Dutzend Tonnen Getreide – Proviant fürs Sommerlager und für Vergeltungs-Expeditionen gegen aufständische Germanen. Kilometerlang schlängelte sich der riesige Tross der Römer durch die Landschaft. Arminius selbst wurde als Befehlshaber der Vorhut eingesetzt, um die Gegend zu erkunden. Und als er merkte, dass er hier freie Hand hatte, begann er seine Pläne zu schmieden. Er würde nicht zulassen, dass sein eigenes Volk von den Römern unterdrückt und seiner Rechte beraubt wurde...
Im September sah Arminius den richtigen Moment gekommen. Die römischen Legionen waren bereits auf dem Rückweg ins Winterlager, als Varus die Nachricht von einem angeblichen Aufstand der Germanen erhielt. Der römische Feldherr ließ kurzerhand die Marschroute ändern – mitten hinein in die dichten finsteren Wälder und Moore Germaniens. Die Legionäre mussten mit ihren Äxten Bäume fällen und Knüppeldämme bauen, um mit Ochsen und Trosswagen in die unwegsamen Wald- und Sumpfgebiete vordringen zu können. Auf den engen Pfaden konnten die Soldaten nicht in ihrer gewohnten Kampfformation marschieren. Das zog die Kolonne stark in die Länge und machte sie zur leichten Beute. Berechnungen zufolge muss der Römerzug zwischen 15 und 20 Kilometer lang gewesen sein! Er war nach den Seiten nicht geschützt und kam nur sehr langsam voran. Ein perfektes Ziel für einen Überraschungsangriff! Und dann brach das Inferno über die Römer herein...
Während der Sommermonate war Arminius tagein, tagaus weite Strecken durch seine alte Heimat geritten. Vorgeblich als Botschafter im Auftrag des Quinctilius Varus. In Wirklichkeit aber sorgte er dafür, dass sich die zerstrittenen Stämme Germaniens zusammenrauften und ein gemeinsames Heer von mehreren tausend Freiheitskämpfern auf die Beine stellten. Die hielten sich nun in den dichten Wäldern bereit und warteten auf die Römer. Denn die Nachricht von dem vermeintlichen Aufstand war eine Kriegslist gewesen, um die Legionen von ihrer sicheren Route wegzulocken. Statt von der Weser zurück an den Rhein marschierten sie nun nach Norden. Arminius‘ Rechnung war aufgegangen: Varus hatte die Nachricht vom vermeintlichen Barbarenaufstand geschluckt und seine Legionen von der sicheren Route weg in den Wald geführt. Damit aber marschierten die römische Armee jetzt geradewegs in den Hinterhalt der Germanen. Vermutlich im heutigen Osnabrücker Land schnappte die Falle zu.
Der erste Angriff erfolgte wahrscheinlich auf die hinteren Einheiten des Römerzuges. Die germanischen Krieger sprangen aus dem Schutz der Bäume hervor, schlugen zu und waren wieder verschwunden, noch bevor sich die römischen Soldaten in ihren Schutzpanzern überhaupt umdrehen konnten. Die vorderen, kilometerweit entfernten Legionen haben diese Blitzattacken vermutlich gar nicht mitbekommen. Und diese Angriffe aus dem Hinterhalt gingen tagelang weiter. Mal erfolgten sie auf den vordersten Abschnitt des Zuges, sodass die vielen Toten den Weitermarsch behinderten, mal auf die Mitte, mal auf die Nachhut. Egal wo die Germanen den langgestreckten Tross angriffen, sie waren immer in der Überzahl. Und bis andere Römer ihren bedrängten Kameraden zu Hilfe kamen, waren diese tot und die Angreifer schon wieder in den Wäldern verschwunden.
Nach gut drei Tagen war das Gemetzel vorbei. Die Bilanz: fast 20.000 tote Römer und eine riesige Blamage für das Römische Reich. Der Geschichtsschreiber Tacitus sollte Jahre später einen der Schauplätze dieser Schlacht besuchen, die tatsächlich aus vielen Einzelschlachten bestand. Er beschrieb erschüttert den Anblick der „bleichenden Knochen” und der Schädel hoher Offiziere, die an Baumstämmen befestigt gewesen seien.
Die Details und der genaue Ort der Schlacht sind bis heute nicht vollständig erforscht. Das Gebiet Bramsche-Kalkriese bei Osnabrück, rund 100 Kilometer nördlich des Teutoburger Waldes, gilt als wahrscheinlicher Ort der Varusschlacht – zumindest einer der zentralen Kämpfe des tagelangen Gemetzels. Über weite Flächen verstreut fanden sich dort Knochen, römische Waffen, Münzen und Ausrüstungsgegenstände. Im Museum und Park Kalkriese erbrachte eine chemische Analyse der gefundenen Metallteile ein spannendes Indiz: den sogenannten metallurgischen Fingerabdruck. Er beruht auf dem Umstand, dass die Zusammensetzung der Metalle in den einzelnen römischen Waffenschmieden winzige Unterschiede aufwiesen, vermutlich durch Umwelteinflüsse. So konnte anhand der Fundstücke ein ganz bestimmtes Kastell im heutigen Süddeutschland eingekreist werden – und genau dort war eine der Legionen des Varus stationiert gewesen, bevor sie nach Germanien und in den Tod marschierte.
Für Varus und seine überlebenden Generäle gab es im Jahre 9 nur noch einen Ausweg: Sie nahmen sich noch auf dem Schlachtfeld das Leben. Und Kaiser Augustus musste sich von der Idee verabschieden, sein Imperium bis an die Elbe und noch weiter auszudehnen. Auch wenn Augustus und sein Nachfolger Tiberius noch mehrere Feldzüge in diese Gebiete unternahmen, sollte der Rhein für die folgenden Jahrhunderte die Grenze des Römischen Reichs bleiben.
Viele Jahrhunderte später wurde die Varusschlacht zu einem deutschen Heldenmythos stilisiert. Im frühen 16. Jahrhundert wurde aus Arminius die mythische Figur „Hermann der Cherusker”. Daher stammt auch die Bezeichnung „Hermannsschlacht”. Das frisch gegründete Deutsche Kaiserreich setzte ihm ein kolossales Denkmal: das 1875 eingeweihte Hermannsdenkmal bei Detmold.
Zusammenfassung
Die berühmte Schlacht im Teutoburger Wald fand im Jahr 9 nach Christus zwischen Germanen und Römern statt und wurde nach dem Verlierer, dem römischen Statthalter Varus, benannt.
Der römische Kaiser Augustus plante, seinen Herrschaftsraum auf die rechtsrheinischen Germanengebiete auszudehnen. Sein Statthalter vor Ort war Quinctilius Varus, der die Gewohnheitsrechte germanischer Stämme mit Füßen trat.
An Varus‘ Seite stand der römische Offizier Arminius. Arminius war der Sohn eines Germanenfürsten, aber in Rom erzogen und ausgebildet worden. Er mobilisierte die germanischen Stämme heimlich zum gemeinsamen Widerstand.
Mit einer List lockte Arminius die römischen Legionen in die unwegsamen Wälder des heutigen Niedersachsen. Hier hatten die römischen Soldaten keine Chance gegen die germanischen Freiheitskämpfer – und so verlor das Römische Reich innerhalb weniger Tage drei Legionen mit knapp 20.000 Soldaten.
Teste dein Wissen im Quiz
Richtige Antworten:
1. B) Im Jahr 9 n. Chr.
2. A) Vermutlich im Osnabrücker Land
3. D) Wegen eines angeblichen Germanenaufstands
4. C) Arminius
5. A) Der Rhein